Physiologie der Ehe (German Edition)
vielleicht noch geblieben; aber eines Abends breitet auch die glänzende und stürmische Propetis ihre weißen Flügel aus, entflieht mit gesenkter Stirn und zeigt dir, wie auf dem Rembrandtschen Gemälde der Engel, der den Augen Abrahams entschwindet, zum letztenmal die entzückenden Schätze, von denen sie selber nichts weiß und die nur du allein mit trunkenem Auge betrachten, mit liebkosender Hand streicheln durftest.
So sind dir alle diese verschiedenen Abstufungen der Lust, alle diese Phantasien der Seele, alle diese Liebespfeile geraubt; du siehst dich auf die gewöhnlichste aller Arten von Liebe angewiesen, auf jene primitive und unschuldige Art, die eheliche Pflicht zu erfüllen, jene friedfertige Huldigung, die der naive Adam unserer gemeinsamen Mutter erwies und die ohne Zweifel die Schlange auf die Idee brachte, sie etwas klüger zu machen. Aber ein so vollständiges Symptom kommt nicht häufig vor. Die meisten Ehepaare sind zu gute Christen, um die Bräuche des heidnischen Griechenlands zu pflegen. Daher haben wir es zu den letzten Symptomen gerechnet, wenn in dem friedlichen Ehebett jene schamlosen Wollüste auftreten, die meistenteils Töchter einer unerlaubten Leidenschaft sind. Gebührenden Ortes und zu rechter Zeit werden wir dieses Anzeichen aus höheren Regionen ausführlicher behandeln. Im vorliegenden Falle ist es vielleicht nur auf eine Gleichgültigkeit oder gar auf einen körperlichen Widerwillen zurückzuführen; hierüber bist du selber allein imstande, zu urteilen.
Während sie so durch ihre Würde den Zwecken der Ehe einen edlern Anstrich gibt, behauptet deine Frau zugleich, sie müsse ihre Meinung haben und du die deinige. »Wenn eine Frau sich verheiratet,« wird sie sagen, »tut sie damit nicht das Gelübde, auf den Gebrauch ihrer Vernunft zu verzichten. Sind denn die Frauen wirklich Sklavinnen? Die menschlichen Satzungen haben den Leib in Ketten und Bande legen können, aber den Glauben ... ah! der steht zu nahe bei Gott, als daß die Tyrannen ihre Hände danach ausstrecken könnten.«
Diese Ideen entspringen notwendigerweise entweder daraus, daß du sie zu frei erzogen hast, oder daraus, daß du ihr erlaubt hast, gewisse Betrachtungen anzustellen. Ein ganzer Abschnitt unseres Buches ist der ›Erziehung in der Ehe‹ gewidmet worden.
Dann beginnt deine Frau zu sagen: »Mein Zimmer, mein Bett, meine Wohnung.« Auf viele von deinen Fragen wird sie antworten: »Aber, mein lieber Freund, das ist ja nicht deine Sache!« oder: »Die Männer haben ihren Teil bei der Leitung eines Hauswesens, und die Frauen haben auch ihren.« Oder sie wird sich über die Männer lustig machen, die sich in die Hauswirtschaft einmischen, und wird behaupten, von gewissen Dingen verständen die Männer nichts.
Die Zahl der Dinge, von denen du nichts verstehst, wird alle Tage größer werden.
Eines schönen Morgens wirst du in eurer kleinen Kirche, wo ihr bisher nur vor einem einzigen Altar eure Andacht verrichtet hattet, zwei Altäre sehen. Der Altar deiner Frau wird nunmehr von dem deinigen unterschieden sein, und diese Unterscheidung wird sich immer auffälliger bemerkbar machen, und zwar stets auf Grund des Prinzips von der Würde der Frau.
Alsdann werden die folgenden Ideen kommen, die man dir, ohne daß du es merkst, mittels einer wenig bekannten, aber schon sehr alten ›lebendigen Kraft‹ einflößen wird. Die Dampfkraft, die Benutzung der Kraft der Pferde, der Menschen oder des Wassers sind gute Erfindungen; aber die Natur hat die Frau mit einer moralischen Kraft ausgerüstet, mit der die vorhin genannten Kräfte sich nicht vergleichen lassen: wir wollen sie ›die Kraft der Klapper‹ nennen. Die Wirkung dieser Kraft beruht auf beständiger Erzeugung eines und desselben Tones, auf einer so genauen Wiederholung derselben Worte, auf einem so vollkommenen Kreislauf derselben Gedanken, daß du infolge des beständigen Anhörens so weit kommst, ihre Richtigkeit anzuerkennen, um nur des weiteren Redens überhoben zu sein. So wird zum Beispiel die unwiderstehliche Kraft der Klapper dir beweisen:
du seist recht glücklich, eine so ausgezeichnete Frau zu haben;
man habe dir zu viel Ehre erwiesen, indem man dich geheiratet;
der Scharfblick der Frau sehe oft richtiger als das Auge des Mannes;
du müssest bei allen Angelegenheiten deine Frau um ihren Rat fragen und fast immer demselben folgen;
du müßtest die Mutter deiner Kinder ›respektieren‹, sie ehren, Vertrauen zu ihr haben;
um nicht getäuscht
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