Physiologie der Ehe (German Edition)
nicht bemerkt hattest; sie wird unbekümmert in deiner Gegenwart singen; sie wird dir das Wort abschneiden, wird dir zuweilen nicht antworten und wird dir auf zwanzig verschiedene Arten dartun, daß sie an deiner Seite über all ihre Geisteskräfte und über ihre gesunde Vernunft verfügt.
Sie wird versuchen, in der Leitung der Hausangelegenheiten deinen Einfluß völlig null und nichtig zu machen und alleinige Herrin deines Vermögens zu werden. Zunächst wird dieser Kampf für ihre beschäftigungslose oder zu sehr in Anspruch genommene Seele eine Zerstreuung sein; später wird sie in deinem Widerstand einen neuen Anlaß finden, sich über dich lustig zu machen. An den durch die Gewohnheit geheiligten Ausdrücken wird es ihr nicht fehlen, und in Frankreich geben wir ja so schnell dem ironischen Lächeln eines andern nach!
Von Zeit zu Zeit werden Migränen und Nervenzufälle auftreten; aber diese Symptome werden uns Anlaß zu einer ganzen Betrachtung für sich geben.
In Gesellschaft wird sie von dir sprechen, ohne zu erröten, und wird dich mit zuversichtlicher Miene ansehen.
Sie wird beginnen, alles zu tadeln, was du nur tust, weil es mit ihren Ideen oder geheimen Absichten in Widerspruch stehen wird.
Sie kümmert sich nicht mehr um das, was dich angeht; ja sie weiß nicht einmal, ob du auch alles hast, was du brauchst. Sie wird nicht mehr alles, was sie sieht, auf dich beziehen und mit dir vergleichen.
In Nachahmung eines Brauches Ludwigs des Vierzehnten, der seinen Mätressen Orangeblütensträuße brachte, die der Oberhofgärtner von Versailles ihm jeden Morgen auf seinen Tisch legte, schenkte Herr de Vivonne seiner Frau während der ersten Zeit ihrer Ehe fast alle Tage seltene und kostbare Blumen. Eines Abends fand er den Strauß auf einem Tischchen liegen, statt daß er, wie gewöhnlich, in ein Gefäß mit Wasser gestellt war. »Oho!« sagte er, »wenn ich kein Hahnrei bin, werde ich bald einer werden.«
Du bist acht Tage auf der Reise und bekommst keinen Brief, oder bekommst einen mit drei leeren Seiten. Symptom.
Du kommst auf einem kostbaren Pferde, auf das du große Stücke hältst; zwischen zwei Küssen beunruhigt deine Frau sich um das Pferd und dessen Hafer. Symptom.
Zu diesen Zügen kannst du jetzt andere selbst hinzufügen. Wir wollen in diesem Buch versuchen, stets al fresco zu malen; die Miniaturen überlassen wir dir. Je nach den Charakteren sind diese Anzeichen unendlich mannigfaltig; sie verbergen sich in jedem Ereignis des Alltagslebens. Der eine entdeckt ein Symptom in der Art, wie seine Frau einen Schal umlegt, während bei einem andern die Seele selbst erst einen Denkzettel erhalten muß, damit er die Gleichgültigkeit seiner Gesponsin ahnt. An einem schönen Frühjahrsmorgen, am Tage nach einem Ball oder am Vorabend einer Landpartie tritt diese Lage in ihr letztes Stadium ein. Deine Frau langweilt sich, und das erlaubte Glück hat keinen Reiz mehr für sie. Ihre Sinnlichkeit, ihre Einbildungskraft, vielleicht auch nur eine Laune ihrer Natur verlangen einen Liebhaber. Indessen wagt sie noch nicht, sich in eine Intrige einzulassen, deren Folgen ohne Einzelheiten sie erschrecken. Du bist immerhin noch da; du fällst noch in die Wagschale, wenngleich mit einem recht geringen Gewicht. Andrerseits erscheint der Liebhaber mit aller Anmut der Neuheit, mit allen Reizen des Geheimnisses umkleidet. Schon früher hat sich im Herzen deiner Frau ein Kampf erhoben; jetzt steht sie dem Feinde selbst gegenüber: der Kampf ist Wirklichkeit geworden und ist gefährlicher denn je. Je größer die Gefahren und Wagnisse sind, desto mehr brennt sie bald darauf, sich in diesen wonnevollen Abgrund von Befürchtungen, Genüssen, Ängsten und Wollüsten zu stürzen. Ihre Einbildungskraft entzündet sich und sprüht Funken. Ihr künftiges Leben erhält in ihren Augen romantische und geheimnisvolle Farben. Ihre Seele findet, in dieser für die Frauen so ernsten Erörterung habe ihr Dasein bereits Spannkraft gewonnen. Alles bewegt sich und regt sich in ihr. Sie lebt dreimal mehr als zuvor und beurteilt die Zukunft nach der Gegenwart. Das geringe Maß sinnlicher Freuden, das du ihr zugeteilt hast, spricht auch noch gegen dich; denn sie erregt ihre Phantasie nicht so sehr an den Freuden, deren sie genossen hat, als an denen, deren sie genießen wird; ihre Einbildung stellt ihr vor, daß sie bei diesem Liebhaber, den die Gesetze ihr verbieten, ein viel lebhafteres Glück finden werde als bei dir. Endlich findet sie
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