Physiologie der Ehe (German Edition)
Genüsse in ihren Ängsten und Ängste in ihren Genüssen: sie liebt diese stets drohende Gefahr, dieses Damoklesschwert, das du selber über ihrem Haupte aufgehängt hast; sie zieht die rasenden Todeszuckungen einer Leidenschaft jenem albernen Eheverhältnis vor, das ärger ist als der Tod jener Gleichgültigkeit, die weniger ein Gefühl, als vielmehr die Abwesenheit jeden Gefühls ist.
Ihr, die ihr vielleicht im Finanzministerium Händedrücke auszuteilen oder Bankrechnungen aufzustellen oder Börsenabschlüsse zu machen oder Reden in der Abgeordnetenkammer zu halten habt; und du, junger Mann, der du mit so vielen andern in unserer ersten Betrachtung in heiligem Eifer den Schwur tatest, dein Glück zu verteidigen, indem du deine Frau verteidigtest – was könnt ihr diesen für sie so natürlichen Begierden entgegensetzen? Für diese feurigen Geschöpfe ist ja Leben gleichbedeutend mit Fühlen; sobald sie nichts mehr empfinden, sind sie tot. Das Gesetz, auf Grund dessen ihr vorgeht, ruft ja gerade in ihr diesen unwillkürlichen Minotaurismus hervor. »Es ist«, sagte d'Alembert, »eine Folge der Gesetze der Bewegung!« Nun, wo sind denn eure Verteidigungsgründe? Wo?
Ach! wenn auch deine Frau noch nicht wirklich den Apfel der Schlange geküßt haben sollte – die Schlange ist schon bei ihr; du schläfst, wir wecken dich auf, und unser Buch beginnt.
Wir wollen nicht weiter untersuchen, wie viele von den fünfhunderttausend Ehemännern, die dies Buch angeht, zur Klasse der Prädestinierten gehören, wie viele sich übel verheiratet haben, wie viele es bei ihren Frauen verkehrt angefangen haben; wir wollen uns nicht darum bekümmern, ob es in dieser zahlreichen Schar wenige oder etliche gibt, die den Anforderungen genügen, um gegen die drohende Gefahr kämpfen zu können – denn im zweiten und dritten Teil dieses Werkes werden wir die Mittel besprechen, durch die der Minotauros zu bekämpfen und die Tugend der Frauen unversehrt zu erhalten ist. Aber wenn das Schicksal, der Teufel, das Zölibat, die Gelegenheit dein Unglück wollen dann wirst du dich vielleicht trösten, indem du den Faden erkennst, der sich durch alle diese Intrigen hindurchzieht, indem du den Schlachten beiwohnst, die in allen Ehen geliefert werden. Viele Leute haben einen so glücklichen Charakter, daß man ihnen nur das Wo zu zeigen, das Warum und Wie zu erklären braucht: sie kratzen sich den Kopf, reiben sich die Hände, stampfen mit dem Fuß – und sind zufrieden.
Nachwort
Wie wir's versprochen hatten, hat dieser erste Teil die allgemeinen Ursachen dargelegt, durch die alle Ehen in die von uns beschriebene Krisis geraten; indem wir diese Vorbemerkungen über die Angelegenheiten der Ehe niederschrieben, haben wir zugleich angezeigt, wie man dem Unglück entgehen kann, indem wir nachwiesen, durch welche Fehler es erzeugt wird.
Aber diese ersten Betrachtungen würden doch wohl unvollständig sein, wenn wir bei einer Frage, die tief in das Leben fast aller Menschen eingreift, uns damit begnügten, nur über die Inkonsequenz unserer Ideen, unserer Sitten und unserer Gesetze einiges Licht zu verbreiten, und nicht auch versuchten, in einem kurzen Schlußwort die politischen Ursachen dieser gesellschaftlichen Krankheit festzustellen. Nachdem wir die geheimen Schäden der Einrichtung der Ehe aufgedeckt haben, ist es wohl eine philosophische Aufgabe, zu untersuchen, warum und wie unsere Sitten sie schadhaft gemacht haben.
Das System von Gesetzen und Sitten, das heutigentags in Frankreich für die Frauen und die Ehe in Geltung ist, ist die Frucht veralteter Anschauungen und Überlieferungen, die nicht mehr mit den durch die große Revolution von 1789 entwickelten ewigen Grundsätzen der Vernunft und Gerechtigkeit in Einklang stehen.
Drei große Umwälzungen haben Frankreich erschüttert: die Eroberung durch die Römer, der Sieg des Christentums und der Einbruch der Franken. Jedes dieser drei Ereignisse hat tiefe Spuren in dem Boden des Landes, in den Gesetzen, in den Sitten und dem Geist der Nation hinterlassen.
Griechenland, das mit einem Fuß in Europa und mit dem andern in Asien steht, wurde in seinen Ehegebräuchen durch sein die Leidenschaften entstammendes Klima beeinflußt; es empfing sie aus dem Morgenlande, wohin seine Philosophen, seine Gesetzgeber und seine Dichter wanderten, um die verschleierten Altertümer Ägyptens und Chaldäas zu erforschen. Die vollkommene Absperrung der Frauen, die unter der brennenden Sonne Asiens eine
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