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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Hand, oder mit einer Hand, die in einem eleganten oder unsaubern Handschuh steckt, seinen Schnurrbart oder seinen Backenbart, oder er fährt mit den Zähnen eines kleinen Schildpattkammes durch seine Barthaare.
    Er sucht durch eine Anzahl sanfter Bewegungen sein Kinn genau in die Mitte seiner Krawatte zu bringen.
    Er wiegt sich von einem Fuß auf den andern, wobei er die Hände in den Taschen hat.
    Er wippt mit der Stiefelspitze, wobei er sie ansieht, wie wenn er sagen wollte: »Ei! Das ist aber ein Fuß, der ganz gewiß nicht übel geformt ist! ...«
    Er kommt zu Fuß oder im Wagen, er streicht sich die leichte Schmutzkruste von seinem Schuh ab oder nicht.
    Er steht unbeweglich da, phlegmatisch wie ein rauchender Holländer.
    Er hält die Augen auf die Tür gerichtet und sieht aus wie eine Seele, die aus dem Fegefeuer kommt und auf den heiligen Petrus mit seinen Schlüsseln wartet.
    Er greift zögernd nach der Klingelschnur; er erfaßt sie nachlässig, eilig, mit einer vertraulichen Bewegung, oder wie jemand, der seiner Sache sicher ist.
    Er läutet entweder schüchtern, so daß in der Stille der Wohnung ein leises Klingeln ertönt, wie im Winter in einem Minimenkloster der erste Ton der Frühbetglocke; oder er hat lebhaft geschellt und läutet gleich darauf noch einmal, da es ihn ungeduldig macht, nicht sofort die Schritte eines Lakaien zu hören.
    Er gibt seinem Atem einen angenehmen Duft, indem er ein Kachondeplätzchen ißt.
    Er nimmt mit wichtiger Miene eine Prise Tabak, worauf er sorgfältig die Körnchen entfernt, die die Weiße seiner Wäsche beeinträchtigen könnten.
    Er sieht um sich und macht dabei ein Gesicht, wie wenn er ein Möbelhändler oder Bauunternehmer wäre, der den Preis der Treppenlampe, des Teppichs, des Geländers abschätzt.
    Endlich ist es von Wichtigkeit, ob dieser Junggeselle jung oder alt aussieht, ob ihm kalt oder warm ist, ob er langsam, traurig oder vergnügt ankommt usw.
    Du begreifst, daß hier, auf deinem Treppenabsatz, eine erstaunliche Menge von Beobachtungen zu machen sind.
    Die leichten Pinselstriche, mit denen wir versucht haben, diese Gestalt zu malen, zeigen dir in ihr ein wahres moralisches Kaleidoskop mit seinen Millionen verschiedener Anordnungen. Und dabei haben wir absichtlich keine Frau auf diesem an Enthüllungen so reichen Plätzchen vor deiner Schwelle stehen lassen; denn unsere ohnehin schon recht zahlreichen Bemerkungen wären unzählig geworden und leicht wie Sandkörner vom Meeresstrande.
    Vor dieser verschlossenen Tür glaubt nämlich ein Mensch ganz allein zu sein; und wenn er nur ein wenig dort warten muß, so beginnt er einen stummen Monolog, ein schwer zu beschreibendes Selbstgespräch, in welchem alles, sogar sein Schritt, dir enthüllt, welche Hoffnungen, Wünsche, Absichten, Geheimnisse, Eigenschaften, Mängel, Tugenden er hat, usw.; kurzum, ein Mensch auf einem Treppenabsatz gleicht einem jungen Mädchen von fünfzehn Jahren, das am Tage vor seiner ersten Kommunion in einem Beichtstuhl kniet.
    Willst du den Beweis dafür? ... Betrachte nur die plötzliche Veränderung in Gesichtsausdruck und Manieren dieses Junggesellen, sobald er von draußen in die Wohnung hineinkommt. Der Maschinist der Oper, die Temperatur, die Wolke oder die Sonne verwandeln nicht schneller das Aussehen einer Bühne, der Atmosphäre oder des Himmels.
    Sobald er die erste Parkettfliese deines Vorzimmers betreten hat, bleibt von all den Myriaden von Gedanken, die dieser Junggeselle dir so unschuldig auf dem Treppenabsatz verraten hat, nicht einmal ein Blick, an den man eine Beobachtung anknüpfen könnte. Die Grimasse des gesellschaftlichen Herkommens hat alles mit einem dichten Schleier umhüllt; aber ein gescheiter Ehemann hat bereits mit einem einzigen Blick den Zweck des Besuches erraten und in der Seele des Ankömmlings wie in einem Buche lesen müssen.
    Die Art, wie er deine Frau begrüßt, wie er mit dir spricht, wie er sie ansieht, wie er ihr seine Verbeugung macht, wie er sich von ihr verabschiedet – in all diesem liegen ganze Bände von Beobachtungen, von denen die eine immer seiner ist als die andere.
    Der Klang der Stimme, die Haltung, Verlegenheit, Lächeln, Schweigen, Traurigkeit, Zuvorkommenheit gegen dich – dies sind lauter Anzeichen, und ein jedes derselben muß mit einem Blick ganz unauffällig studiert werden. Die unangenehmste Entdeckung mußt du unter dem ungezwungenen Benehmen und der Gesprächsgewandtheit eines Salonmenschen zu verbergen wissen. Da es uns

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