Physiologie der Ehe (German Edition)
in den Weg legen, entfalten vergeblich alle Künste ihrer Verführungen; sie geht, sie geht, wie das treue Tier, das die unsichtbare Spur seines Herrn sucht, taub für alle Komplimente, blind für alle Blicke, sie merkt nicht einmal etwas von jenen weichen Berührungen, die sich im Gewoge der Pariser Menschenflut nicht vermeiden lassen. Oh! wie fühlt sie den Wert einer Minute! Ihr Gang, ihr Anzug, ihr Gesicht begehen tausend Indiskretionen. Aber was für ein entzückendes Bild für den Pariser Spaziergänger, was für ein böser Anblick für einen Ehemann ist die Physiognomie dieser Frau, wenn sie aus dieser geheimen Klause zurückkehrt, die ihre Seele ohne Unterlaß bewohnt! Ihr Glück verrät sich sogar in der stets bemerkbaren Nachlässigkeit ihrer Frisur, deren anmutiger Aufbau, deren wellige Locken unter dem zerbrochenen Kamm des Junggesellen nicht jenen leuchtenden Schimmer haben annehmen können, jenen eleganten und sichern Schwung, den ihnen die geschickte Hand ihrer Kammerzofe zu verleihen wußte. Und was für ein wundervolles Sichgehenlassen in ihrem Gang! Wie sollen wir dieses Gefühl wiedergeben, das so reiche Farben über ihre Haut breitet, das ihren Augen all ihre Zuversicht nimmt, das so innig zugleich mit Schwermut und Frohsinn, mit Scham und Stolz verknüpft ist!
Diese Anzeichen, die eigentlich in die Betrachtung über die ›Letzen Symptome‹ gehören und einer Situation eigentümlich sind, worin die Frau versucht, alles zu verhehlen, sie ermöglichen es dir, auf die reiche Ernte von Beobachtungen zu schließen, die du wirst einheimsen können, wenn deine Frau nach Hause kommt und in ihrer Unschuld, da die große Freveltat noch nicht begangen ist, das Geheimnis ihrer Gedanken ausliefert. Wir selber haben niemals einen Treppenabsatz gesehen, ohne Lust zu bekommen, auf ihm eine Windrose und eine Magnetnadel zu befestigen.
Da die Art und Weise, wie man aus seinem Hause einen Beobachtungsposten machen kann, völlig von Ort und Umständen abhängen, so verlassen wir uns in bezug auf die Ausführung der in dieser Betrachtung gegebenen Vorschriften auf die Geschicklichkeit der Eifersüchtigen.
Konstitutionelle Eheregierung
Ich gestehe, daß ich in Paris eigentlich nur ein einziges Haus kenne, das nach dem in den beiden vorhergehenden Betrachtungen auseinandergesetzten System eingerichtet ist. Aber ich muß auch hinzufügen, daß ich das System nach dem Hause ausgearbeitet habe. Diese bewunderungswürdige Festung gehört einem von Liebe und Eifersucht trunkenen jungen Staatsrat, einem der Berichterstatter über die Bittschriften.
Als er erfuhr, daß es einen Menschen gäbe, der sich ausschließlich mit der Vervollkommnung der Ehe in Frankreich beschäftigte, war er so höflich, mir die Türen seines Hauses zu öffnen und mir die Frauengemächer zu zeigen. Ich bewunderte den tiefen Geist, der mit so großer Geschicklichkeit die Vorsichtsmaßregeln einer beinahe orientalischen Eifersucht unter der Eleganz der Möbel, unter der Schönheit der Teppiche und der glänzenden Neuheit der Tapeten verborgen hatte. Ich mußte zugeben, daß es seiner Frau unmöglich wäre, sich ihrer Wohnung als eines Hilfsmittels bei einer Untreue zu bedienen.
»Mein Herr,« sagte ich zu dem Staatsrat-Othello, dessen Leistungen in der höhern Ehepolitik mir sehr bedeutend erschienen, »ich bezweifle nicht, daß es der Frau Vicomtesse viel Vergnügen macht, in diesem kleinen Paradiese zu leben; es muß ihr sogar ein ganz außerordentliches Vergnügen machen, besonders wenn Sie selbst oft dort sind; aber es wird ein Augenblick kommen, wo sie genug davon hat, denn, mein Herr, man bekommt von allem genug, selbst vom Erhabenen. Was werden Sie dann machen, wenn Frau Vicomtesse an allen Ihren Erfindungen nicht mehr den ursprünglichen Reiz findet, den Mund zum Gähnen öffnet und Ihnen vielleicht eine Bittschrift einreicht, in der sie um zwei Rechte nachsucht, die zu ihrem Glück unumgänglich notwendig sind: um die persönliche Freiheit, das heißt, die Erlaubnis, gehen und kommen zu dürfen, wie Laune und Wille sie treibt; und um Preßfreiheit, das heißt, die Erlaubnis, Briefe zu schreiben und zu empfangen, ohne Ihre Zensur befürchten zu müssen?«
Kaum hatte ich diese Worte gesprochen, so preßte der Herr Vicomte de V... mir stark den Arm und rief:
»Ja, da sieht man die Undankbarkeit der Frauen! Wenn es etwas Undankbareres als einen König gibt, so ist es ein Volk; aber, mein Herr, die Frau ist noch undankbarer als sie alle.
Weitere Kostenlose Bücher