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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Bürgersmann von der Rue Saint Dénis nach Pierrefitte zu führen, ohne daß dieser eine Ahnung davon hatte, den Schatten des Kirchturms von Saint Leu verlassen zu haben.«
    »Wie!« unterbrach ich ihn, »sollten Sie zufällig die wunderbaren Täuschungen erraten haben, die ich in einer Betrachtung unter dem Titel: ›Die Kunst, den Tod ins Leben zu bringen‹ zu beschreiben gedachte ...? Ach! Ich glaubte der erste zu sein, der diese Wissenschaft entdeckt hätte. Dieser treffende Titel war mir eingefallen, als ein junger Arzt mir den Inhalt einer ausgezeichneten noch unveröffentlichten Erzählung von Crabbe mitteilte. In diesem Werk hat der Dichter ein phantastisches Wesen personifiziert, das er ›das Leben im Tode‹ nennt. Diese Gestalt verfolgt durch alle Ozeane der Welt ein lebendes Skelett, das ›der Tod im Leben‹ genannt wird. Ich erinnere mich, daß wenige von den Gästen des Lebemanns, der das englische Gedicht übersetzt hatte, den geheimnisvollen Sinn dieser ebenso wahren wie phantastischen Fabel begriffen. Ich war vielleicht der einzige, der, in ein dumpfes Schweigen versunken, an jene ganzen Generationen dachte, die, vom Leben vorwärts getrieben, dahinschwinden, ohne zu leben. Frauengestalten erhoben sich vor mir zu Tausenden, zu Zehntausenden, alle tot, mit verhärmten Gesichtern und Tränen der Verzweiflung vergießend, indem sie auf die verlorenen Stunden ihrer unwissenden Jugend blickten. In der Ferne sah ich eine boshafte ›Betrachtung‹ entstehen, ich hörte bereits ihr satanisches Gelächter; und nun werden Sie ohne Zweifel diese Betrachtung töten ... Aber hören Sie, teilen Sie mir doch schnell die von Ihnen gefundenen Mittel mit, durch die Sie einer Frau die flüchtigen Augenblicke verschwenden helfen, wo sie in der Blüte ihrer Schönheit, in der Kraft ihrer Begierden ist ... vielleicht haben Sie einige strategische Züge, einige Listen entdeckt, die ich noch nicht beschrieben habe.«
    Der Vicomte lachte über diese Enttäuschung eines Schriftstellers und sagte selbstzufrieden zu mir:
    »Meine Frau hat wie alle jungen Mädchen unseres glücklichen Jahrhunderts drei oder vier Jahre lang mit ihren Fingern die Tasten eines Pianos bearbeitet, das nichts dafür konnte. Sie hat Beethoven zusammengestümpert, Rossinis Arietten gesummt und die Cramerschen Übungen durchgenommen. Ich habe es mir nun angelegen sein lassen, ihr die Überzeugung beizubringen, daß sie eine hervorragende Begabung für Musik besitze: zu diesem Zweck habe ich applaudiert, habe, ohne zu gähnen, die langweiligsten Sonaten von der Welt angehört und habe mich dazu herbeigelassen, ihr eine Loge in der Komischen Oper zu geben. Dadurch habe ich denn drei friedliche Abende gewonnen, drei von den sieben, die Gott in der Woche geschaffen hat. Ich bin immer auf der Suche nach ›musikalischen Häusern‹. In Paris gibt es Salons, die genau wie jene deutschen Tabaksdosen mit Musik sind, eine Art von beständigen ›Componiums‹; in diesen hole ich mir regelmäßig musikalische Magenbeschwerden, die meine Frau Konzerte nennt. Dafür begräbt sie sich aber den größten Teil ihrer Zeit unter ihren Notenheften ...«
    »Ei, Herr Vicomte, wissen Sie nicht, wie gefährlich es ist, eine Frau Geschmack am Singen finden zu lassen und sie allen Aufregungen einer sitzenden Lebensweise preiszugeben? Es fehlte ja bloß noch, daß Sie ihr Hammelfleisch zu essen gäben und sie Wasser trinken ließen!«
    »Meine Frau ißt stets nur das Weiße vom Geflügel, und ich halte darauf, daß auf ein Konzert stets ein Ball folgt, auf eine Vorstellung der Italienischen Oper stets ein Rout! So ist es mir denn auch gelungen, es dahin zu bringen, daß sie während sechs Monaten des Jahres niemals vor ein oder zwei Uhr morgens zu Bett kommt. Ah, die segensreichen Folgen dieses späten Zubettgehens sind unberechenbar! Zunächst wird eine jede dieser notwendigen Vergnügungen ihr bewilligt, wie wenn es eine besondere Gunst wäre, und dabei hat es den Anschein, als täte ich damit stets nur meiner Frau einen Gefallen; ferner bringe ich ihr die Überzeugung bei, daß sie von sechs Uhr abends, wo wir speisen und sie in großer Toilette erscheint, bis elf Uhr früh, wo wir aufstehen, sich beständig amüsiert.«
    »O Herr Vicomte, wie dankbar muß sie Ihnen sein für ein so schön ausgefülltes Leben!«
    »Ich habe also eigentlich nur noch drei gefährliche Stunden auszufüllen; aber hat sie nicht ihre Sonaten zu studieren, ihre Arien einzuüben? Ferner schlage

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