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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Daseins zu verhüllen, um seine Bedürfnisse zu vergöttlichen, damit er sie nicht zu beachten braucht, hat er sogar chinesischen Blättern, ägyptischen Bohnen, mexikanischen Körnern ihre Düfte, ihre Schätze, ihre Seelen abgeborgt; hat er sogar Kristalle ziseliert, Silber gedrechselt, Gold geschmolzen, Ton bemalt, mit einem Wort: alle Künste aufgeboten, um seinen Futternapf auszuschmücken und größer zu machen! Wie kann nun dieser König, nachdem er die zweite seiner Armseligkeiten mit Musselinfalten umhüllt, mit Diamanten bedeckt, mit Rubinen übersät, unter schneeigem Linnen, unter baumwollenem Gewebe, unter buntfarbiger Seide, unter reichverschlungenen Spitzen versteckt hat – wie kann er schließlich all diesen Luxus durch zwei Holzbetten zunichte machen? Was hat es für einen Zweck, die ganze Welt an unserm Dasein, an unsern Lügen, an dieser Poesie mitarbeiten zu lassen? Was hat es für einen Zweck, Gesetze, sittliche Gebote, Religionen zu machen, wenn die Erfindung eines Tapezierers – denn schließlich kann ja auch der Tapezierer vielleicht der Erfinder der Zwillingsbetten sein – unserer Liebe alle ihre Illusionen nimmt, sie ihres majestätischen Gefolges beraubt und ihr nur das Allerhäßlichste und Allergarstigste läßt? Denn darauf läuft die ganze Frage der beiden Zwillingsbetten hinaus.
    LXII. Wir hatten einen Wunsch, und dieser hat uns schließlich vor die Wahl gestellt, entweder erhaben oder grotesk zu erscheinen.
    Wird unsere Liebe geteilt, so ist sie erhaben; aber schlaft in zwei Zwillingsbetten, und eure Liebe wird stets grotesk sein. Die Sinnwidrigkeiten, zu denen diese halbe Trennung Anlaß gibt, lassen sich in zwei Situationen zusammenfassen, in denen wir die Ursachen gar manches Unglücks erkennen werden.
    Es ist kurz vor Mitternacht; gähnend legt eine junge Frau ihre Haarwickel an. Ich weiß nicht, ob ihre Schwermut von einer Migräne herrührt, die sich auf die rechte oder auf die linke Seite ihres Gehirns stürzen will, oder ob sie einem jener Anfälle von Langeweile unterliegt, während deren wir alles schwarz sehen; aber wenn ich sie so vor mir sehe, wie sie nachlässig sich die Haare für die Nacht zurechtmacht, wie sie langsam das Bein erhebt, um ihr Strumpfband loszumachen – da scheint es mir klar, daß sie lieber ertrinken möchte, wenn sie nicht durch einen stärkenden Schlummer ihr Leben wieder auffrischen könnte. Sie ist in diesem Augenblick unter dem soundso vielten Grade dicht beim Nordpol, auf Spitzbergen oder in Grönland. Gedankenlos und kalt hat sie sich zu Bett gelegt, und dabei vielleicht, wie etwa Frau Walter Shandy, gedacht, morgen sei ein Krankheitstag, ihr Mann komme recht spät nach Hause, die Schneeballen, die sie gegessen, seien nicht genug gezuckert gewesen, sie sei ihrer Schneiderin mehr als fünfhundert Franken schuldig – mit einem Wort: sie denkt an irgend etwas, woran nach der Meinung der Männer eine Frau denkt, die sich langweilt. Inzwischen kommt ein derber Bursche von Ehemann, der eine geschäftliche Verabredung gehabt und dabei Punsch getrunken, und zwar zuviel Punsch getrunken hat. Er zieht die Stiefel aus, wirft seine Kleider auf die Stühle, läßt seine Schuhe auf einem Sofa, den Stiefelknecht vor dem Kamin stehen; und während er sich ein rotes Seidentuch um den Kopf bindet, ohne sich die Mühe zu geben, die Zipfel desselben wegzustecken, wirft er seiner Frau ein paar Sätze mit Ausrufungszeichen hin, kleine eheliche Liebenswürdigkeiten, die manchmal in diesen Dämmerstunden, wo in unserer Leibesmaschine die eingeschlafene Vernunft fast gar kein Licht mehr von sich gibt, die ganze Unterhaltung eines Ehepaares ausmachen: »Du bist schon zu Bett! – Teufel, ist es heute abend kalt! – Du sagst nichts, meine Liebe! – Du hast dich schon in deinem Bett zusammengerollt! – Spitzbübin! du tust, wie wenn du schliefest!« Zwischen diesen Redensarten gähnt er fortwährend; und nach einer Menge kleiner Einzelheiten, die je nach den Gewohnheiten des betreffenden Ehepaars in diese Vorrede der Nacht einige Abwechslung bringen werden, stürzt mein Mann sich in sein Bett, das dabei einen dumpfen Ton von sich gibt. Aber auf einmal erscheinen ihm auf der phantastischen Leinwand, die gleichsam vor uns ausgespannt ist, wenn wir die Augen schließen, die verführerischen Bilder irgendeines hübschen Gesichtchens, irgendwelcher eleganter Glieder: die zur Liebe lockenden Umrisse von Bildern, die er tagsüber gesehen hat. Ihn quälen stürmische

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