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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Begierden ... er wirft die Augen auf seine Frau. Er sieht ein reizendes Gesicht, das von den zartesten Stickereien eingesäumt ist; mag ihr Blick eingeschlummert sein, trotzdem scheint dessen Feuer die Spitzenrüschen zu verbrennen, die ihre Augen nur unvollkommen verbergen; endlich deuten sich himmlische Formen unter den verräterischen Falten der Bettdecke an ... »Mein Mäuschen?« ... – »Aber ich schlafe, lieber Freund ...«
    Wie kann der Schiffer in einem solchen Lappland landen? Ich nehme an, du seist jung, schön, geistvoll, verführerisch. Wie willst du über das Meer hinübergelangen, das Grönland von Italien trennt? Der Abstand zwischen dem Paradiese und der Hölle ist nicht größer als der Zwölftelzoll, um den eure beiden Betten einander genähert zu werden brauchten, um ein einziges zu bilden: denn deine Frau ist kalt, und du brennst von der ganzen Glut einer Begierde. Wäre auch nichts weiter zu tun, als aus dem einen Bett ins andere zu klettern – schon diese Bewegung bringt einen Ehemann, der ein Tuch um den Kopf trägt, in die unschönste Lage von der Welt. Unter Liebenden verschönt die Gefahr, die Kürze der Zeit, die Gelegenheit – mit einem Wort alles – das Unglückliche dieser Situationen, denn die Liebe hat einen Mantel aus Purpur und Gold, den sie über alles wirft, selbst über die rauchenden Trümmer einer mit Sturm genommenen Stadt; dagegen braucht Hymen alle Zauberkunststücke der Welt, um nicht auf den buntesten Teppichen, unter den entzückendsten Seidenfalten Trümmer zu erblicken. Brauchtest du auch nur eine Sekunde, um dich in Besitz deiner Frau zu setzen, so hat doch die Pflicht, die die Gottheit der Ehe ist, Zeit genug, ihr in ihrer ganzen Häßlichkeit zu erscheinen.
    Wie albern muß einer kalten Frau ein Mann erscheinen, wenn er durch die Begierden nach und nach zornig und zärtlich, frech und demütig, beißend wie ein Epigramm und sanft wie ein Madrigal wird; mit einem Wort: mehr oder weniger geistreich die Szene aufführt, worin im ›Geretteten Venedig‹ der geniale Orway uns den Senator Antonio vorgeführt hat, wie er zu Aquilinas Füßen hundertmal wiederholt: ›Aquilina, Quilina, Lina, Aqui, Nacki!‹ – ohne etwas anderes von ihr zu erhalten als Peitschenhiebe, wenn er sich einfallen läßt, zudringlich zu werden. Jede Frau findet einen Mann, selbst ihren rechtmäßigen Ehemann, um so lächerlicher, je leidenschaftlicher er sich bei einer solchen Gelegenheit benimmt. Er ist widerwärtig, wenn er befiehlt; er wird minotaurisiert, wenn er seine Gewalt mißbraucht. Erinnere dich bei dieser Gelegenheit einiger Aphorismen des Ehekatechismus, und du wirst sehen, daß du die heiligsten Vorschriften derselben verletzest. Mag eine Frau dem Verlangen des Mannes nachgeben oder nicht – die beiden Zwillingsbetten bringen in die Ehe etwas so Unzartes, etwas so Deutliches, daß die keuscheste Frau und der geistreichste Mann schließlich auf Schamlosigkeiten verfallen.
    Das Gegenstück dieses Auftritts, der sich auf tausenderlei verschiedene Arten abspielt und zu dem tausend andere Anlässe führen können, bildet die andere Situation, die weniger komisch, aber viel fürchterlicher ist.
    Eines Abends unterhielt ich mich über diesen wichtigen Gegenstand mit dem verstorbenen Grafen von Nocé, von dem ich bereits zu sprechen Gelegenheit gehabt habe. Ein großer alter Herr mit weißen Haaren, sein intimer Freund – den ich nicht nennen will, weil er noch lebt – sah uns mit ziemlich trübseliger Miene an. Wir errieten, daß er uns irgendeine Skandalgeschichte erzählen wollte, und sahen ihn ungefähr mit demselben Gesicht an, womit der Stenograph des ›Moniteur‹ einen Minister, dessen improvisierte Rede er bereits in der Tasche hat, die Tribüne besteigen sieht. Der Erzähler war ein alter emigrierter Marquis, dessen Vermögen, Frau und Kinder in den Katastrophen der Revolution zugrunde gegangen waren. Und da die Marquise eine der inkonsequentesten Frauen der vergangenen Zeit gewesen war, so fehlte es ihm nicht an Beobachtungen über die weibliche Natur. Da er jetzt in einem Alter stand, in dem man menschliche Angelegenheiten, sozusagen, bereits aus dem Grabe betrachtet, so sprach er von sich selber, wie wenn es sich um Marcus Antonius oder Kleopatra gehandelt hätte. Da ich die letzte Äußerung getan hatte, so erwies er mir die Ehre, folgende Ansprache an mich zu halten:
    »Mein junger Freund! Ihre Betrachtungen erinnern mich an einen Abend, wo einer meiner Freunde sich

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