Picasso kann jeder
andere fortschrittliche Ideen ausgeräumt werden. Erneuerbare Energien z.B. sind ja kein »Rückschritt«, sondern technischer Fortschritt in eine andere Richtung.
Im Bereich des Handwerks, etwa im Bauhandwerk, geht es dagegen überraschend traditionell zu. Hier greift der Mechanismus der globalen Konkurrenz nicht.
Das Selbstbild und die Bereitschaft zur Erfindung
Nationen habe Mythen, die von ihrem Ursprung und von ihren Helden erzählen. Jeder trägt den Charakter dieser Helden mehr oder weniger in sich, er orientiert sich an ihnen, folgt ihrem Vorbild.
Die Griechen haben den listenreichen Odysseus in sich, der aus schwierigsten Problemen einen Ausweg findet. Tatsächlich ist die Figur in den Gedanken der modernen Griechen präsent: Im Interview mit dem »Kölner Stadt-Anzeiger« (Ausgabe vom 9./10. Mai 2009) wird der Fußballheld der Europameisterschaft 2004, Angelos Charisteas, zu seinem Lieblingshelden befragt. Er antwortet:»Hm, vielleicht Achilles der Kämpfer … Nein, eigentlich eher Odysseus. Der ist ein Mensch und sehr schlau. Im Fußball kommt es auf Kampf an, aber vor allem auch auf Cleverness. Man muss schnell reagieren, deshalb gefällt mir Odysseus.«
Die antiken Griechen waren große technische Erfinder. Ktesibios (ca. 300 v. Chr.) erfand eine pneumatische Orgel. Mit Luftdruck und dem Druck von Wasserdampf konnte man Spielfiguren bewegen, ja sogar Türen »automatisch« öffnen. Die Griechen – hätten sie das Material Eisen besser verarbeiten können – wären sicher schon damals in der Lage gewesen, die Dampfmaschine zu erfinden. Die sperrige Bronze erlaubte dies aber nicht. Dennoch haben sie auch mit besonderen Legierungen der Bronze Federn für ein Katapult herstellen können (Drachmann 1967). Ihre vielen Kriegslisten behandele ich weiter unten (Kap. 12).
Wie verhält es sich da mit den Deutschen? Starke Kämpfer beseelen auch uns: im Nibelungenlied, dem germanischen Mythos. Sie imponieren durch Mut und Gradlinigkeit, nicht durch Listenreichtum und Erfindungsgabe. Leider sterben sie durch Verrat in Attilas Hallen in Ungarn. Die Heiligen-Legenden des Christentums sehen auch eher passives Erdulden als kreative Problemlösung vor. Insofern haben wir keinen mythischen Hintergrund für eine positive Sicht der Kreativität.
Tatsächlich haben wir viele Erfinder, die allerdings bei einer Besinnung auf unsere – deutsche – Vergangenheit nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit sind (wie etwa Leonardo da Vinci für die italienische Geschichte). Im Mythos kennen wir Reineke Fuchs, der sich listig einen Vorteil zu verschaffen weiß (vgl. aber Kap. 12). Er ist Namenspate für Erwin Rommel, den »Wüstenfuchs«. Aber wir wollen uns ja kein Vorbild an Kriegshelden nehmen.
Auch in der Kulturgeschichte der deutschen Nationen gab es Giganten der Erfindung: von Johannes Gutenberg, der 1440 den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden hat, bis hin zu Einstein, der das physikalische Weltbild revolutionierte. Der Chirurg Sauerbruch (Operation am offenen Brustkorb, s. o.) ist mit Recht berühmt. Etliche weitere Anekdoten handeln von fantastischem Einfalls- und Erfindungsreichtum:
Der berühmte Mathematiker Carl Friedrich Gauß hatte als Schüler einen sehr guten Einfall, eine langweilige Rechenaufgabe abzukürzen. Die Klasse sollte die Zahlen von 1 bis 100 zusammenzählen. Gauß war nach wenigen Minuten fertig. Er addierte immer paarweise zu 101: nämlich »1 und 100« und »2 und 99« usw. Macht man dies 50 mal, so ergibt sich die Rechenaufgabe 50 × 101, also 5050.
In der Zeit der Industrialisierung wurde Deutschland in besonderem Maße zum Land der Tüftler und Entwickler. Einige Beispiele: 1854 wurde von dem Deutschen Heinrich Göbel (1818 – 1893) die Glühbirne erfunden. Werner von Siemens (1816 – 1892) entwickelte 1866 den Dynamo. »Die Pille« ist eine Erfindung des deutschen Chemieunternehmens Schering. Erst jüngst entwickelte die Deutsche Fraunhofer-Gesellschaft das MP3-Format zur Speicherung von Musik. Die Fußballweltmeisterschaft in Bern wurde seinerzeit auch durch die von Alfred Dassler erfundenen abschraubbaren Stollen gewonnen.
Auch wir können also stolz sein auf kreative Genies, auf Erfinder und Tüftler unserer Vergangenheit. Letztlich ist ja auch Odysseus ein Vorfahr in unserer gemeinsamen europäischen Geschichte.
Fazit: Erfindungsreichtum ist nicht allein die Leistung einer Person. Die Umstände müssen ihn ermöglichen oder sogar fördern. Man könnte Kreativität daher
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