Picasso kann jeder
im Alter noch kreative Höchstleistungen erbracht, ja sogar erst begonnen werden können, dann ist ja in dieser Lebensspanne sicher auch Alltagskreativität zu finden – und man kann auch im Alter den Vorsatz fassen, den Alltag kreativ zu bewältigen.
Das heutige Altern unterscheidet sich in mancher Hinsicht von dem Altern vergangener Generationen. Unsere Vorfahren starben nicht nur früher, sie waren den Krankheiten des Alters auch in ganz anderem Maße ausgeliefert. Heute gibt es viele geistig und körperlich gesunde alte Menschen, die ihr ganzes Leben lang besondere Kenntnisse erworben haben, die nun über reichlich Freizeit und auch über die finanziellen Mittel verfügen, um kreative Experimente zu machen. So können wir von dieser Bevölkerungsgruppe geradezu einen Kreativitätsschub erwarten.
Allein im Umfeld meiner Freunde kann ich mehrere Beispiele dafür nennen und kreative Leistungen bewundern: Der Gerontologe und Tierfreund Professor Erhard Olbrich gründete zusammen mit anderen Personen nach seiner Pensionierung die »Gesellschaft für Tiergestützte Therapie und Aktivitäten« und regt vielfältige Forschungsvorhaben in diesem Bereich an. Erst die Entlastung von der Routine des Universitätsalltags ermöglicht ihm diese neue Ausrichtung.
Ein anderer Freund hat viele Jahrzehnte lang in einem pädagogischen Institut gearbeitet, aber immer auch künstlerische Werke geschaffen. Nach seiner Pensionierung fand er einen Sponsor, der es ihm nun ermöglicht, in Thailand mit Jugendlichen einen Skulpturenpark zu gestalten. Er ließ mit 65 Jahren Wohnung und Freunde zurück, um in Thailand für einige Jahre ein neues kreatives Leben zu beginnen.
Einer meiner Nachbarn war Chemiker. Seit der Pensionierung beschäftigt er sich mit Metallskulpturen, und er lernte bald, das Material professionell zu bearbeiten. Jetzt, in dieser späten Lebensphase, findet er Anerkennung als Künstler. Seine Werke sind in einem Kölner Skulpturenpark ausgestellt.
Selbstverständlich findet sich im hohen Alter auch Alltagskreativität:
Meine 90-jährige Oma hatte die Idee, die Mülltonne in ihrem Garten unter den kleinen Balkon zu stellen, so dass sie den Müll direkt hineinwerfen konnte. Stolz zeigte sie mir ihre Erfindung.
Oma Rosemarie hat eine patente Methode entwickelt, Spinnen von der Decke zu holen, ohne auf eine Leiter steigen zu müssen und ohne dass die Spinnen fliehen können. Sie tupft sie mit dem Besen ab und reinigt den Besen dann an der freien Luft. So braucht sie die Spinnen auch nicht zu töten.
Auch in hohem Alter ist die Bereitschaft geblieben, Innovationen anzunehmen:
Die 82-jährige Oma Hilde hat in einer Kochsendung gesehen, wie Rosenkohl in Einzelblätter zerschnitten und dann in Sahne gekocht wurde. Sie hat es noch nicht selbst ausprobiert, aber als sie mich besuchte, schlug sie es vor. Ihre Bereitschaft, etwas Neues auszuprobieren, hat sie sich erhalten.
Ist Kreativität weiblich?
Vor gut hundert Jahren erregte Otto Weininger mit frauenfeindlichen Texten Aufsehen ( Geschlecht und Charakter, 1903). Er sah allerlei Mängel bei Frauen, speziell sprach er ihnen kategorisch die Kreativität ab. Nun gibt es unter den großen Künstlern, den großen Erfindern und Entdeckern tatsächlich nur wenige Frauen. Woran liegt das?
Es gibt einen einfachen und einleuchtenden Grund: Frauen waren in den vergangenen Jahrhunderten und weitgehend auch noch in den vergangenen Jahrzehnten Hausfrauen, hatten also meist keine weitere Berufsausbildung und arbeiteten eben nicht als Wissenschaftler, als Maler oder als Schiffskapitäne. Am Kochtopf kann man Amerika nicht entdecken! In den Lebensläufen der Erfinder und Entdecker stoßen wir dagegen immer wieder auf Mütter, die in ihren Lebensbereichen ungewöhnlich kreativ waren, wie Charlotte Lilienthal, die mit ihren Kindern das ungewöhnlichste und schönste Spielzeug bastelte und so zum Vorbild für ihre Söhne wurde (der Vater war früh gestorben, s. o.).
Die Verhältnisse haben sich gewandelt. Heute sind Frauen in allen Berufen willkommen. Etwa im sprachlichen Bereich, also dort, wo weibliche Begabungsschwerpunkte liegen, gibt es heute genauso viele herausragende Künstlerinnen wie Künstler (Doris Lessing [geb. 1919], Patricia Highsmith, Alison Lurie [geb. 1926], um nur einige wenige zu nennen). Ob sie in den männerdominierten Disziplinen den gleichen Ruhm ernten, ist eine andere Frage. Mitunter unterdrückt der dominante Mann das Werk der Frau, wie der Maler Edvard
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