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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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zurückbringen…«, antwortete Viktor.
    »Nein, es war niemand da…«, erwiderte der Chef nachdenklich. »Und ich würde dir raten, das Kindermädchen zu fragen, ob sie die Kleine nicht für eine Nacht zu sich nach Hause mitnehmen kann«, sagte er, und um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, nickte er belehrend.
    Nina brachte Sonja um halb sieben zurück und fing gleich an, sich für die Verspätung zu entschuldigen.
    »Ich hoffe, Sie haben sich keine Sorgen gemacht!« plapperte sie im Flur drauflos. »Wir haben Sergej zum Zug gebracht…«
    »Aber nein, ich habe mir keine Sorgen gemacht«, entgegnete Viktor. »Nina, kann Sonja eine Nacht bei Ihnen bleiben?«
    Nina sah Viktor erstaunt an. Sonja, die schon beim Ausziehen war, aber die Jacke noch an hatte, drehte sich auch um, aber eher neugierig als verwundert.
    »Ja, natürlich…«, erwiderte Nina verdutzt.
    »Warten Sie.« Viktor ging ins Schlafzimmer und kam mit einem Hundertdollarschein zurück.
    »Da«, er gab Nina den Schein, »das ist Ihr Gehalt und für Ihre Mühe…«
    »Wann soll ich sie wieder bringen?« fragte Nina.
    »Morgen… gegen Abend.«
    Allein auf dem Flur, seufzte Viktor tief. Auf dem Linoleum glänzten Spuren von Stiefeln und kleine Pfützen vom tauenden Schnee. Er holte einen Lappen aus der Toilette, wischte den Boden auf und ging in die Küche zurück.
    »Du mußt hier mit mir bis halb eins aushalten«, bat der Chef weich. »Dann holt mich ein Wagen ab. Ich bin müde, ich habe Angst einzuschlafen… Hast du Karten?«
    Die Zeit verstrich ungemein langsam. Draußen war es schon längst dunkel, und die Stadt war wie ausgestorben. Viktor und Igor Lwowitsch spielten Preference. Viktor verlor. Der Chef spielte lächelnd, manchmal sah er auf den Wecker. Von Zeit zu Zeit rauchte er eine Zigarette, und der Aschenhaufen auf dem linken Tischrand wuchs. Er strich ihn mit den Fingern glatt, als ob er aus der Asche eine kleine Pyramide bauen wollte.
    Punkt halb eins fuhr unten ein Wagen vor. Der Chef sah aus dem Fenster, dann verkündete er das Spielergebnis.
    »Du schuldest mir fünfundneunzig Dollar«, sagte er lächelnd. »Du kannst es später zurückgewinnen!« Er stand auf und zog sich an.
    »Erst mal kannst du Urlaub machen«, sagte er beim Weggehen. »Wenn der Staub sich gelegt hat, komme ich wieder und wir arbeiten weiter…«
    »Igor«, hielt Viktor ihn auf. »Worin liegt eigentlich der Zweck meiner Arbeit?«
    Der Chef sah Viktor mit zusammengekniffenen Augen an.
    »In deinem eigenen Interesse solltest du keine Fragen stellen«, zischte er leise. »Du kannst dir denken, was du willst. Aber merk dir: Sobald dir jemand erzählt, worin der Zweck deiner Arbeit besteht, bist du ein toter Mann… Das hier ist kein Theaterstück. Man wird dir alles nur in dem Fall erzählen, wenn deine Arbeit, wie im übrigen auch dein Leben, nicht mehr gebraucht wird…«
    Der Chef lächelte traurig.
    »Aber im großen und ganzen meine ich es gut mit dir, glaub mir!«
    Er öffnete die Tür, hinter der schon der Viktor bekannte ›Sportler‹ stand. Der nickte dem Chef zu, und sie liefen die Treppe hinunter.
    Viktor schloß die Tür. Die Stille in der Wohnung bedrückte ihn. Auf der Zunge fühlte er einen bitteren Tabakgeschmack. Er wollte ausspucken, diesen Geschmack loswerden.
    Die Küche war völlig verräuchert, vor Rauch war kaum was zu sehen. Viktor machte die obere Lüftungsklappe auf. Er spürte die Kälte, aber der Qualm im Lampenschein rührte sich nicht einmal, als ob die Luft trotz der offenen Klappe stillstünde. Viktor nahm die Papiere vom Küchenfenster und öffnete das große Fenster. Die Kälte drang in die Küche, und der Wind ließ die Küchentür zuschlagen. Der Rauch verteilte sich und verschwand allmählich. Viktor spürte den Luftzug zwar nicht, aber er sah, wie er die Aschenpyramide des Chefs in kleinere Haufen teilte und allmählich vom Tisch auf den Boden fegte. Schließlich war keine Spur mehr von der Pyramide.
    Die Küchentür ging auf, und auf der Schwelle stand der Pinguin, als ob ihn die Kälte angezogen hätte. Er kam zu Viktor und sah zu ihm hoch.
    Viktor lächelte ihn an. Dann überprüfte er noch einmal, ob die Luft wieder klar war. Plötzlich blendete ihn die Küchenlampe, er knipste das Licht aus und blieb im Dunkeln stehen.
    47
     
    Gegen elf Uhr wachte Viktor vor Kälte auf. Er sprang aus dem Bett, rannte in die Küche, schloß das Fenster und die Lüftungsklappe und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Er blieb angezogen unter der

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