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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Chef an: Jetzt saß wieder der frühere Igor Lwowitsch vor ihm, ruhig und beherrscht, ohne jedes Zittern, ohne Angst.
    Viktor nahm Würstchen, Butter und Senf aus dem Eisschrank.
    Ohne den Chef weiter zu beachten, ging er zum Herd. Er spürte Tabakgeschmack auf der Zunge.
    Während er das Gas anzündete, hörte er, wie der Chef aufstand und ins Zimmer ging. Das Wasser kochte. Aus dem Zimmer drangen undeutliche Wortfetzen herüber, der Chef telefonierte mit irgend jemandem. Aber Viktor hatte keine Lust, sich umzudrehen. Er wollte der Wirklichkeit den Rücken zukehren, alles sollte unsichtbar bleiben, außerhalb seines Lebens, außerhalb seiner selbst.
    Wieder knarrte die Tür. Schritte. Das Geräusch eines beiseite geschobenen Hockers, der Chef setzte sich wieder an den Tisch.
    Die Würstchen schwammen im kochenden Wasser.
    »Hast du Dollar da?« fragte der Chef.
    »Ja«, antwortete Viktor mit dem Rücken zum Chef.
    »Du mußt mir achthundert borgen.«
    Dann aßen sie schweigend. Viktor sah auf den Wecker auf dem Fensterbrett, es war fast vier Uhr. Gleich mußte Nina Sonja zurückbringen. Und was dann? Was hat Igor Lwowitsch vor? Hat er die Absicht, sich hier bei ihm zu verstecken? Für wie lange? Und womit konnte das enden?
    Viktor tunkte die in Scheiben geschnittenen Würstchen in Senf und aß mechanisch. Plötzlich hatte er das Gefühl, daß etwas fehlte. Dann begriff er, was es war: Brot. Aber der Chef saß ihm gegenüber und aß die Würstchen in aller Seelenruhe ohne Brot. Im Gegensatz zu Viktor tunkte er sie nicht in Senf, sondern strich auf jede auf die Gabel gespießte Scheibe schmelzende Butter und steckte sie erst dann in den Mund.
    »Mach uns Tee!« kommandierte der Chef und schob den leeren Teller von sich.
    Viktor kochte Tee. Sie saßen sich wieder schweigend am Tisch gegenüber. Der Chef war mit seinen Gedanken beschäftigt, und Viktor sah ihn an und dachte an seine ›Kreuzchen‹, die alle mit einem Datum verziert waren. Zu gern hätte er gewußt, wer und was sich hinter diesem »Genehmigt« verbarg. Aber er war sich absolut sicher, daß der Chef ihm nichts verraten würde. Er würde ihn mit seinem ›Wozu mußt du das wissen?‹ abspeisen.
    Viktor seufzte. Der Chef tauchte aus seinen Gedanken auf und sah Viktor ernst an.
    »Noch eins!« sagte er. »Du fährst jetzt gleich zur Flugbörse auf dem Platz des Sieges. Beim Schalter 19 löst du mein Ticket aus. Nimm achthundert Dollar mit, ich gebe sie dir später zurück. Die Bestellnummer ist 503.«
    Viktor sah aus dem Fenster. Es wurde schon dunkel. Er hatte keine Lust, wieder rauszugehen, aber natürlich mußte er dieses Ticket abholen.
    »Okay«, sagte Viktor, aber offensichtlich mit einer solchen Verzögerung, daß der Chef ihn verwundert ansah, bis ein müdes Lächeln den Ausdruck der Verwunderung verdrängte.
    Viktor zog sich an. Als er sein Haus verließ, streifte er mit einem Seitenblick den ›Sportler‹ in seiner gestrickten Skimütze am Hauseingang.
    Auf der Flugbörse war es leer. Der einzige Besucher, dem Aussehen nach ein Aserbaidschaner, studierte niedergeschlagen den Flugplan.
    Viktor ging zum Schalter 19, hinter dem eine etwa vierzigjährige Frau mit blaugrau gefärbten Haaren saß, die sie zu einer Hochfrisur drapiert hatte.
    »Bestellung 503«, sagte Viktor.
    »Den Paß«, bat die Kassiererin, ohne aufzusehen, und gab die Nummer in den Computer ein.
    Viktor war verblüfft. Der Chef hatte ihm keinen Paß gegeben.
    »Ah!« stieß die Frau hinter dem Schalter plötzlich aus. »Den Paß brauche ich nicht. Es ist alles hier: achthundert Dollar an der Kasse«, sagte sie und wies in Richtung Kasse, ohne Viktor anzusehen.
    Viktor zahlte mit acht Hundertdollarscheinen an der Kasse. Eine junge Frau in einer blauen Uniform zählte nach, jagte sie durch eine Maschine, um die Echtheit zu prüfen. Dann drehte sie sich um und rief: »Wera! Bezahlt!«
    »Gehen Sie zu Schalter 19«, sagte diese zu Viktor.
    Dort erhielt Viktor das Ticket. Er guckte es sich an, las ›Kiew-Larnaka-Rom‹ und steckte es in seine Jackentasche.
    Gegen sechs Uhr war er wieder zu Hause. Nina und Sonja waren noch nicht da. Der Chef saß wie vorher in der Küche. Offensichtlich hatte er sich vor kurzem selber einen Kaffee gekocht, den er jetzt in aller Ruhe trank.
    Das Ticket, das ihm Viktor überreichte, überprüfte er sehr genau und steckte es in seine Brieftasche.
    »Ist niemand gekommen?« fragte Viktor.
    »Wartest du auf jemanden?«
    »Das Kindermädchen müßte Sonja

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