Picknick auf dem Eis (German Edition)
Bettdecke liegen, wärmte sich ein wenig und stand dann wieder auf.
Nach einem heißen Bad und einem starken Kaffee fühlte er sich besser. Auch in der Wohnung wurde es allmählich wärmer. Der gestrige Tag stand ihm plötzlich wieder vor Augen: die Daten auf einigen Nekrologen im Safe, die Flugbörse, das Kartenspielen bis halb eins. Nur schien das alles nicht gestern gewesen zu sein, sondern vor langer, langer Zeit. Aber es roch noch nach Rauch, und die gestrigen Ereignisse waren in allen Details wieder gegenwärtig.
Draußen war es kalt und ruhig. Das Tauwetter war dem Winter erneut gewichen.
›Was soll ich machen?‹ dachte Viktor bei einer zweiten Tasse heißen Kaffees. ›Arbeit ist keine da und wird es auch so bald nicht geben. Der Chef hat sich davongemacht… Geld haben wir noch, wenn auch jetzt achthundert Dollar weniger. Vielleicht sollte ich es jetzt wieder mit Erzählungen probieren? Oder vielleicht mit einem Roman?‹
Viktor versuchte, sich von den Gedanken an die zukünftige Prosa loszureißen, und fühlte gleich eine große Leere. Seine gesamte Prosa ruhte tatsächlich in tiefer Vergangenheit. Es schien so weit entfernt, daß ihm Zweifel kamen, ob das überhaupt seine eigene Vergangenheit war.
Er trank einen Schluck Kaffee, und ihm fiel ein, daß Nina Sonja am Abend wieder zurückbringen würde. Die Wirklichkeit siegte über seine Grübeleien. Vor ihm lag das normale Leben, seine Pflicht Sonja gegenüber, die Fürsorge für Mischa. Danach sicherlich die Suche nach einer neuen Arbeit… Und die anhaltende Einsamkeit.
Plötzlich dachte er an Nina. Was hatte sie gestern gesagt? Daß sie auf dem Bahnhof gewesen waren? Daß sie Sergej zum Zug gebracht hatten? Das heißt, Sergej war also doch nach Moskau gefahren, ohne sich zu verabschieden. Noch ein Ziegelstein in der Mauer der Einsamkeit, die ihn umgab. Und Nina. Ihr halbes Lächeln, ihre häßlichen Zähne und ihre schönen Augen. Was hatten sie eigentlich für eine Farbe? Nein, Viktor konnte sich nicht an die Farbe erinnern.
›Wieso denke ich an sie?‹ Viktor sah wieder aus dem Fenster. Der frische Schnee malte Muster auf die Scheiben. ›Ich werde bald vierzig, und das mir am nahestehendste Wesen auf der Welt ist ein Pinguin, namens Mischa… Aber der weiß einfach nicht, wohin er sonst gehen könnte. Außerdem kann er nicht denken, das heißt, er kann sich gar nichts aussuchen… Dann gibt es noch Sonja, die nichts versteht, Sonja, die einen Haufen Geld hat und in aller Seelenruhe sagt: ›Das ist mein Fernseher!‹ Und es ist tatsächlich ihr Fernseher. Aber wenn wir zu dritt oder sogar zu viert spazierengehen, der Pinguin, Nina, Sonja und ich, dreht man sich um und denkt: ›Was für eine nette Familie!‹
Viktor lächelte traurig. In seiner Phantasie spielte er mit heiteren Illusionen, die von außen gesehen sogar so wahrscheinlich waren, daß man in ein Fotogeschäft gehen und ein Familienportrait hätte machen lassen können.
48
Um sechs Uhr abends brachte Nina Sonja zurück. Sie wollte gleich wieder gehen, aber Viktor bat sie, mit ihnen zu Abend zu essen, und kochte schnell Kartoffeln.
Sonja nörgelte nur herum und verließ die Küche, fast ohne was gegessen zu haben.
Viktor und Nina blieben allein am Tisch. Sie aßen schweigend, sahen sich nur von Zeit zu Zeit verstohlen an.
»Ist Sergej für lange weggefahren?« fragte Viktor.
»Er hat gesagt, für ein Jahr«, antwortete Nina. »Aber er hat versprochen, im Sommer für ein paar Tage herzukommen. Seine Mutter ist ja noch hier. Ich kaufe jetzt für sie ein…«
»Ist sie so alt?« fragte Viktor.
»Nein, aber sie hat schlimme Beine.«
Sie tranken Tee. Nina bedankte sich für das Abendessen und verabschiedete sich bis zum nächsten Morgen.
Nachdem Viktor die Tür hinter ihr zugemacht hatte, ging er ins Wohnzimmer. Da lief der Fernseher, und Sonja schlief angezogen auf dem Sofa.
›Sie ist müde‹, dachte Viktor.
Er zog sie aus, deckte sie zu, ging zum Fernseher, um ihn auszuschalten. Da sah er auf dem Bildschirm Pinguine, die tolpatschig von einem kleinen Eisberg ins Wasser sprangen. Leise hörte man den Kommentator von den Tieren in der Antarktis erzählen.
Viktor sah sich suchend nach Mischa um. Der stand an der Balkontür. Viktor hob ihn hoch und trug ihn vor den Fernseher.
Der Pinguin krächzte.
»Guck mal!« flüsterte Viktor.
Als Mischa seine Artgenossen sah, erstarrte er und blickte unverwandt auf den Bildschirm.
Ungefähr fünf Minuten betrachteten die
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