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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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ihre Rippen. Aber Nina schwieg und sah ihn nur mitleidig an. Er spürte ihre Hände auf seinem Rücken. Sie umarmte ihn, aber irgendwie demütig, kraftlos, als ob sie ihn nicht umarmte, sondern sich an ihm festhielt. So demütig gab sie sich ihm auch hin, schweigend und lautlos. Und er versuchte weiter, ihr weh zu tun, versuchte, sie zum Schreien zu zwingen oder ihn abzuweisen. Aber er wurde bald müde, ohne ihr einen Laut abgerungen zu haben. Er lag da und umarmte sie mit geschlossenen Augen, aber er schlief nicht. Er wollte nur nicht länger das Mitleid in ihrem Blick sehen. Außerdem schämte er sich jetzt für seine Wut, seine Gereiztheit, seine Grobheit. Und als er endlich eingeschlafen war, lag sie noch lange mit offenen Augen da, sah ihn an und schien zu grübeln. Vielleicht dachte sie über das Leiden nach.
    Als er morgens aufwachte, war Nina nicht mehr neben ihm. Viktor erschrak, hatte Angst, sie wäre weggegangen und käme nicht mehr wieder. Er stand auf, zog seinen Morgenrock über und lugte ins Wohnzimmer.
    Sonja schlief noch. In der Küche klapperte was. Viktor machte die Küchentür auf und sah Nina angezogen vor dem Herd, sie kochte Milchreis. Viktor wollte ihr was Liebes sagen, sich irgendwie entschuldigen. Sie drehte sich um und nickte ihm zu. Viktor ging auf sie zu, umarmte sie zärtlich.
    »Verzeih«, flüsterte er.
    Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn.
    »Wann mußt du weg?« fragte sie.
    »Um zehn…«
    50
     
    Der Leichenwagen rumpelte erbarmungslos über die Straßen. Der Fahrer versuchte, langsamer zu fahren, aber die ewig rasenden ausländischen Wagen hupten, und er blickte erschrocken in den Rückspiegel.
    Vorne saßen zwei intelligent aussehende Männer: einer in einem kurzen Schafspelz, der zweite in einer schwarzen Lederjacke. Beide waren um die fünfzig. Einer von ihnen war der Leichenwäscher, der andere der Organisator, aber wer von beiden wer war, wußte Viktor nicht. Sie waren gleichzeitig erschienen und hatten den Sanitätern geholfen, den Sarg in den Leichenwagen zu schieben.
    Viktor saß hinten, hielt Mischa in seinen Armen und damit gleichzeitig auf dem Sitz fest. Neben ihnen wurde der zugenagelte, mit rotem und schwarzem Tuch ausgeschlagene Sarg in den Kurven durch und durch geschüttelt.
    Zuweilen fing Viktor den neugierigen Blick der Männer auf, aber natürlich galt ihre Neugier nicht ihm, sondern Mischa.
    Als sie am Baikowo-Friedhof angekommen waren, hielten sie beim Verwaltungsgebäude. Der Fahrer stieg aus, um die Grabnummer zu erfahren, und Viktor schaffte es, inzwischen einen großen Blumenstrauß bei einer der hier am Zaun stehenden alten Frauen zu kaufen. Dann kehrte er in den Wagen zurück.
    Der Weg zum Grab kam ihm unerwartet lang vor. Viktor hatte es bald satt, längs der endlosen Grabmäler und Einfriedungen zu fahren.
    Schließlich hielt der Wagen an.
    Viktor erhob sich und wollte aussteigen.
    »Wir sind noch nicht da!« rief der Fahrer und lehnte sich aus dem Fenster.
    »Sieh mal, wie viele! Paß auf, mach bloß keinen Kratzer!« sagte der andere, der durch die Scheibe nach vorne guckte.
    Viktor stand auf und sah ebenfalls durch die Vorderscheibe des Leichenwagens. Vor ihnen auf der rechten Seite der Allee parkten jede Menge teure ausländische Wagen, so daß links davon für ihren Wagen kaum Platz war.
    »Ich fahre lieber drum rum«, sagte der Fahrer. »Bloß weg von dem Gesindel.«
    Und er setzte zurück, bog in eine andere Allee ein. Nach etwa fünf Minuten hielten sie vor einem ausgeschaufelten Grab. Neben der Grube lag ein Haufen brauner, lehmiger Erde, zwei schmutzige Spaten steckten darin.
    Viktor stieg aus, sah sich um und bemerkte ganz in der Nähe, etwa fünfzig Meter entfernt, eine Menschenmenge. Von der anderen Seite kamen zwei hagere Friedhofsarbeiter in wattierten Arbeitsanzügen auf sie zu.
    »Was ist, habt Ihr den Gelehrten gebracht?« fragte einer von ihnen.
    »Holt ihn raus!« nickte der andere.
    Die Totengräber stellten den Sarg auf die Erde neben das Grab. Einer maß mit einer dicken Schnur das Grab aus.
    Viktor ging zum Wagen und hob Mischa heraus. Einer der Totengräber schielte mit heruntergezogenen Mundwinkeln auf den Pinguin, wandte sich aber dann sofort wieder seiner Arbeit zu.
    »So armselig?« fragte der zweite Totengräber den Fahrer. »Ohne Musik?«
    Der Fahrer zischte ihn an und wies ihn mit einem Blick auf Viktor zurecht.
    Die Totengräber ließen den Sarg ins Grab hinunter und sahen sich nach dem Menschen mit

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