Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
Vom Netzwerk:
ziemlich groß, mit fest eingebauten Etagenbetten, vier Kojen übereinander. Er war sauber und hell und sehr karg, aber vermutlich sah es hier abends, mit lauter Wanderern und dem ganzen Gepäck, wie in einer Kaserne aus. Es machte auf mich keinen einladenden Eindruck. Benton MacKaye hatte mit diesen Hütten nichts zu tun gehabt, dennoch entsprachen sie voll und ganz seiner einstigen Vision – einfache Ausstattung, rustikal, auf das Leben in der Gemeinschaft zugeschnitten. Mir wurde mit einem dumpfen Schrecken klar: Wäre MacKayes Traum von einer ganzen Kette von Herbergen am Wegesrand Wirklichkeit geworden, dann hätten sie aller Wahrscheinlichkeit nach so wie dieses Haus ausgesehen. Aus dem ruhigen und gemütlichen Refugium mit einer ganzen Veranda voller Schaukelstühle, wie ich es mir in der Phantasie ausgemalt hatte, wäre wohl eher ein Kurzaufenthalt in einem Ausbildungslager geworden, obendrein ein kostspieliger, nach den Preisen des AMC zu urteilen.
    Ich rechnete im Kopf nach: Angenommen, der stolze Preis von 50 Dollar hätte überall gegolten, dann hätte es den typischen Weitwanderer zwischen 6.000 und Z500 Dollar gekostet, wenn er unterwegs jeden Abend in einer Hütte eingekehrt wäre. Das hätte wohl nicht funktioniert. Vielleicht war es besser so, wie es war.
    Die Sonne schien nur schwach, als wir aus der Hütte nach draußen traten und uns über einen Nebenweg nach Franconia Notch an den Abstieg machten. Unterwegs nahm sie an Kraft zu, bis man schließlich wieder von einem herrlichen Julitag sprechen konnte, die Luft war mild, in den Bäumen tanzte das Sonnenlicht, und die Vögel zwitscherten. Als wir spät nachmittags an unserem Auto ankamen, war ich fast wieder völlig trocken, und meine vorübergehende Panik auf dem Lafayette – der jetzt vor einem strahlend blauen Himmel im Sonnenlicht glänzte – war nur noch eine ferne Erinnerung.
    Beim Einsteigen schaute ich auf meine Uhr. Sie zeigte zwei Minuten vor elf. Ich schüttelte sie und sah mit Interesse, wie sich der Sekundenzeiger wieder in Bewegung setzte.
     
     

18. Kapitel
     
    Am Nachmittag des 12. April 1934 hatte Salvatore Pagliuca, ein Meteorologe der Wetterstation auf dem Gipfel des Mount Washington, ein Erlebnis, das niemand vor ihm je gehabt hatte und seitdem auch nie wieder jemand gehabt hat.
    Auf dem Mount Washington ist es, milde ausgedrückt, gelegentlich etwas stürmisch, und an jenem 12. April wehte ein besonders heftiger Wind. In den vorangegangenen 24 Stunden war die Windgeschwindigkeit nicht unter 170 Stundenkilometer gefallen, in den Böen lag sie zeitweilig sogar noch darüber. Als es Zeit wurde für Pagliuca, wie jeden Nachmittag die Anzeigen an den Meßgeräten abzulesen, war der Wind so stark, daß er sich ein Seil um die Taille band und zwei Kollegen bat, das andere Ende festzuhalten. Die Männer hatten bereits Schwierigkeiten, die Tür zur Wetterstation aufzukriegen, und brauchten ihre ganze Kraft, damit ihnen Pagliuca nicht als lebender Drachen davonflog. Wie es ihm gelang, an seine Instrumente heranzukommen und die Werte abzulesen, ist nicht überliefert, auch nicht seine Worte, als er schließlich wieder in die Station getorkelt kam, aber »Wahnsinn!« scheint mir sehr wahrscheinlich.
    Fest steht jedenfalls, daß Pagliuca eine Bodenwindgeschwindigkeit des Windes von 371 Stundenkilometer gemessen hatte. Ein solches Tempo war nie zuvor auf der ganzen Welt registriert worden.
    In seinem Buch The Worst Weather: A History of the Mount Washington Observatory bemerkt William Lowell Putnam dazu trocken: »Vielleicht gibt es gelegentlich irgendwo an einem gottverlassenen Ort auf dem Planeten Erde schlechteres Wetter, aber das muß erst noch korrekt gemessen werden.« Zu den Rekorden der Wetterstation auf dem Mount Washington kommen noch weitere hinzu: die meisten zerstörten Wettermeßinstrumente, der meiste Wind innerhalb von 24 Stunden (fast 5.000 Kilometer insgesamt), und die extremste Windkälte (eine Kombination aus einer Windgeschwindigkeit von 160 Stundenkilometern und einer Außentemperatur von -40 Grad Celsius; das wird selbst in der Antarktis nicht übertroffen).
    Der Mount Washington verdankt seine extremen Wetterverhältnisse nicht so sehr der Höhe oder dem Breitengrad, obwohl beide Faktoren eine Rolle spielen, sondern vielmehr seiner Lage an einer Stelle, wo zwei von ihrer Höhe bestimmte Wettersysteme aus Kanada und von den Großen Seen auf feuchte, relativ warme Luft vom Atlantik beziehungsweise aus dem Süden

Weitere Kostenlose Bücher