Picknick mit Bären
machte sie Halt, und weitere Hundertschaften zufriedener Touristen stiegen aus.
Die Geschichte des Tourismus auf dem Mount Washington reicht weit zurück. Schon im Jahre 1852 befand sich auf dem Gipfel ein Restaurant, und die Besitzer hatten pro Tag an die hundert zahlende Gäste. 1853 wurde ein kleines Hotel aus Stein auf dem Berg errichtet, es nannte sich Tip-Top-House, und es war sofort ein durchschlagender Erfolg. 1869 baute ein ortsansässiger Unternehmer namens Sylvester March eine Zahnradbahn, die erste der Welt. Alle hielten ihn für verrückt, und niemand glaubte, daß für so etwas ein Bedarf bestünde, selbst wenn sie funktionieren sollte, was man ohnehin bezweifelte. Die aus ihr hervorquellenden Massen unter mir waren der Beweis des Gegenteils.
Fünf Jahre nach Eröffnung der Zahnradbahn wurde das alte Tip-Top-House vom größeren und vornehmeren Summit House Hotel abgelöst, das wiederum einem zwölf Meter hohen Bettenturm weichen mußte, auf dessen Dach sich ein mehrfarbiger Scheinwerfer befand, der in ganz New England und sogar vom Meer aus zu sehen war. Bis Ende des Jahrhunderts erschien als neue Sommerattraktion täglich eine Gipfelzeitung, und American Express eröffnete eine Filiale dort oben.
Auch am Fuß des Berges herrschte Hochkonjunktur. Die moderne Tourismusindustrie – in der Form, daß Menschen in Massen an einen schönen Ort reisen und dort bei ihrer Ankunft Zerstreuungen aller Art vorfinden – ist im wesentlichen eine Erfindung, die in den White Mountains ihren Ursprung hat. In jedem Tal schössen gigantische Hotels mit bis zu 250 Zimmern wie Pilze aus dem Boden. Sie waren in dem hübschen, hiesigen Stil entworfen und sahen aus – wie auf die Größe eines Krankenhauses oder Sanatoriums aufgeblasene Berghütten – sehr kunstvolle und reich verzierte Häuser, die zu den größten und kompliziertesten Holzbauten zählen, die je errichtet wurden, mit Türmchen und Erkern und allem erdenklichen architektonischen Schmuck, den das viktorianische Zeitalter zu bieten hatte. Sie verfügten über Wintergärten und Salons, Speisesäle für 200 Personen und Veranden, die wie die Promenadendecks von Kreuzfahrtschiffen aussahen und auf denen die Hotelgäste in der gesunden Luft bei einem Gläschen sitzend die zerklüftete felsige Pracht der Natur bestaunen konnten.
Die feineren Hotels waren noch besser dran. Das Profile House in Franconia Notch zum Beispiel besaß einen eigenen Bahnanschluß zur knapp 13 Kilometer entfernten Bethlehem Junction. Auf dem Hotelgelände standen 21 Cottages, jedes mit zwölf Schlafzimmern. Das Maplewood betrieb ein eigenes Casino, und die Gäste im Crawford House konnten zwischen zwölf Zeitungen wählen, die extra täglich aus New York und Boston herangeschafft wurden. Bei allem, was neu und interessant war – Aufzügen, Gasbeleuchtung, Swimmingpools, Golfplätzen –, hatten die White-Mountain-Hotels immer die Nase vorn. 1890 lagen 200 Hotels in den White Mountains verstreut. Nie zuvor hatte es eine solche Dichte von erstklassigen Hotels an einem Ort gegeben, schon gar nicht in den Bergen. Heute sind diese Häuser praktisch alle verschwunden.
1902 eröffnete das größte von ihnen in Bretton Woods in einem weiten parkähnhchen Areal vor der Kulisse des Presidential Range. In einem imposanten Stil errichtet, den der Architekt selbst bescheiden als »spanische Renaissance« bezeichnete, stellte das Mount Washington Hotel den Gipfel an Eleganz und Opulenz dar. Es stand in einem über 1.000 Hektar großen Landschaftsgarten und hatte 235 Zimmer, die mit allen Finessen ausgestattet waren, die man mit Geld kaufen konnte. Allein für die Stuckarbeiten ließ man 250 Meister aus Italien anreisen. Bei seiner Fertigstellung war das Hotel jedoch bereits ein Anachronismus.
Der Trend ging woandershin. Die amerikanischen Urlauber hatten das Meer entdeckt. Die White-Mountain-Hotels waren ein bißchen zu langweilig, ein bißchen zu abgelegen und für bescheidene Ansprüche ein bißchen zu teuer. Und was noch schlimmer war, die Hotels zogen das falsche Publikum an – Neureiche aus Boston und New York. Den Todesstoß aber versetzte ihnen das Automobil. Die Hotels waren dafür gebaut worden, daß die Gäste mindestens zwei Wochen blieben, aber das Auto verlieh den Menschen dauerhafte Mobilität. In der 1924er Ausgabe von New England Highways and Byways from a Motor Car schwärmt der Autor von der unvergleichlichen Pracht der White Mountains – den tosenden Wasserfällen in
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