Picknick mit Bären
wir auf knapp 5.000 Metern Anstieg einen Höhenunterschied von l .370 Metern zu bewältigen hatten, gingen wir ein ziemlich flottes Tempo. Wir brauchten zwei Stunden und vierzig Minuten (Bills Wanderführer für die White Mountains veranschlagt eine Gehzeit von vier Stunden und 15 Minuten), worauf wir ziemlich stolz waren.
Sicher gibt es anspruchsvollere und faszinierendere Gipfel entlang des Appalachian Trail zu erklimmen als den Mount Washington, aber bei keinem erlebt man solche Überraschungen. Man kämpft sich den letzten Abschnitt des steinigen Steilhangs dieser insgesamt doch recht ansehnlichen Erhebung hoch, guckt über den Rand und wird ausgerechnet von einem riesigen, asphaltierten Parkplatz, voller in der heißen Sonne schimmernder Autos, empfangen. Dahinter liegen verstreut einige Gebäude, zwischen denen sich Massen von Menschen in Shorts und Baseballkappen tummeln. Es herrscht eine Atmosphäre wie auf einem Jahrmarkt, den man groteskerweise auf einen Berggipfel verlegt hat. Man gewöhnt sich daran, auf den Gipfeln entlang des AT keinen Menschen anzutreffen, und wenn, dann sind es immer nur wenige, die sich außerdem alle genau wie man selbst abgerackert haben, um es bis nach oben zu schaffen. Im Vergleich dazu war dieser Menschenauflauf hier einfach überwältigend. Mount Washington läßt sich bequem mit dem Auto über eine Mautstraße erreichen, die in Serpentinen am Hang verläuft, oder mit einer Zahnradbahn von der anderen Seite, und Hunderte Menschen – Aberhunderte, wie mir schien – hatten von diesen beiden Möglichkeiten Gebrauch gemacht. Überall wimmelte es von Leuten. Sie sonnten sich, beugten sich über das Geländer der Aussichtsterrassen, schlenderten zwischen den Souvenirläden und den Fastfood-Restaurants hin und her. Ich kam mir vor wie ein Besucher von einem anderen Stern und fand es wunderbar. Es war natürlich der reinste Alptraum und eine Schändung des höchsten Berges im Nordosten der Vereinigten Staaten, aber ich war froh, daß sich das alles wenigstens nur an einem Ort abspielte. Das machte den Rest des Trails perfekt.
Das Zentrum der Aktivität bildete ein scheußlicher Betonbau, das Summit Information Center, mit großen Fenstern, breiten Aussichtsplattformen und einer ausgesprochen gut besuchten Cafeteria. Gleich hinter dem Eingang hing eine lange Liste all derer, die am Berg umgekommen waren, dazu jeweils die Ursache, angefangen mit einem gewissen Frederick Strickland aus Bridlington, Yorkshire, der sich im Oktober 1849 während eines Sturms verirrt hatte, gefolgt von einer imposanten Aufzählung aller Unglücksfälle, die mit dem Lawinentod zweier Hiker vor gerade einmal drei Monaten endete. 1996 waren bereits drei Menschen an den Hängen des Mount Washington ums Leben gekommen, und das Jahr war noch nicht vorbei – eine ernüchternde Bilanz. Es gab auf der Tafel noch reichlich Platz für weitere Todesfälle.
Im Kellergeschoß befand sich ein kleines Museum, das über Klima, geologische Beschaffenheit und die einzigartige Pflanzenwelt des Mount Washington informierte; meine besondere Aufmerksamkeit erregte jedoch ein witziger Kurzfilm mit dem Titel »Frühstück der Champions«, den die Meteorologen wahrscheinlich zu ihrem eigenen Vergnügen gedreht hatten. Er war mit einer fixierten Kamera auf der Gipfelterrasse aufgenommen worden. Man sieht darin einen Herrn bei einer der berüchtigten Sturmböen am Tisch sitzen, so als befände er sich in einem Gartenlokal. Während der Gast versucht, mit den Armen den Tisch festzuhalten, nähert sich ein offensichtlich mit äußerster Anstrengung gegen den Wind ankämpfender Kellner. Es sieht aus, als würde er in 10.000 Meter Höhe auf der Tragfläche eines Flugzeugs wandeln. Er versucht, dem Gast Cornflakes in eine Schale zu schütten, aber alles fliegt waagrecht aus der Pappschachtel heraus. Dann fügt der Kellner Milch hinzu, aber die spritzt ebenfalls seitlich weg und landet auf dem Gast – ein besonders lustiger Moment. Dann fliegt die Schale davon, danach das Besteck, wenn ich mich recht entsinne, schließlich macht sich der Tisch selbständig, und damit endet der Film. Er war so nett, daß ich ihn mir zweimal anschaute; dann begab ich mich auf die Suche nach Bill, damit er ihn sich auch ansah. Ich konnte ihn in dem Gewimmel nicht entdecken, also ging ich nach draußen auf die Plattform und schaute zu, wie die Zahnradbahn schnaufend den Berg hinauf kroch und auf ihrer Fahrt schwarzen Qualm ausstieß. An der Gipfelstation
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