Picknick mit Bären
Franconia, der Alabasterherrlichkeit des Mount Washington, dem intimen Charme der kleinen Städte Lincoln und Bethlehem – und legt den Besuchern dringend ans Herz, sich für die Berge einen ganzen Tag Zeit zu nehmen. In Amerika begann das Zeitalter des Automobils und der beschränkten Aufnahmefähigkeit.
Ein Hotel nach dem anderen wurde geschlossen, die Häuser wurden baufällig oder – was häufiger geschah – brannten bis auf die Grundmauern ab (wobei nicht selten die Versicherungspolice das Einzige war, was den Brand überstand), und der Wald eroberte sich das Gelände zurück. Früher konnte man vom Gipfel aus an die 20 Hotels sehen, heute ist nur noch eins davon übriggeblieben, das Mount Washington, mit seinem feschen roten Dach noch immer beeindruckend und irgendwie feierlich, aber in seiner einsamen Pracht und Herrlichkeit auch unwiederbringlich verloren. Selbst dieses Haus ist mehrmals nur knapp einer Pleite entkommen. An anderen Stellen tief unten im Tal, da, wo sich früher das Fabyan, das Mount Pleasant, das Crawford House und viele andere Hotels stolz erhoben, sind heute nur noch Bäume, Highways und Motels zu erkennen.
Die Ära der großen Hotels in den White Mountains dauerte insgesamt nur 50 Jahre. Was wieder einmal die Altehrwürdigkeit des Appalachian Trail beweist. Mit diesem Gedanken begab ich mich auf die Suche nach meinem Freund Bill, um unsere gemeinsame Wanderung fortzusetzen.
19. Kapitel
»Ich habe eine phantastische Idee«, sagte Stephen Katz. Wir saßen bei mir zu Hause in Hanover. Es war zwei Wochen später, und am nächsten Morgen wollten wir nach Maine aufbrechen.
»Und die wäre?« sagte ich und versuchte, nicht allzu genervt zu klingen, denn phantastische Ideen sind nicht gerade Katz’ Stärke.
»Du weißt doch, wie schrecklich schwer diese Rucksäcke immer sind.«
Ich nickte. Davon konnte ich ein Lied singen.
»Ich habe mir da nämlich etwas überlegt. Das heißt, eigentlich überlege ich da schon sehr lange. Denn um die Wahrheit zu sagen, Bryson, vor diesem Rucksackgeschleppe habe ich« – er senkte die Stimme – »einen Scheißhorror.« Er nickte feierlich und wiederholte das Schlüsselwort. »Und da kam mir eine geniale Idee. Eine echte Alternative. Mach die Augen zu.«
»Warum?«
»Es soll eine Überraschung sein.«
Ich mache nicht gern die Augen zu, wenn man mich mit etwas überraschen will. Das konnte ich noch nie ausstehen. Aber ich tat ihm den Gefallen.
Ich hörte, wie er in seinem ausrangierten Armeesack kramte. »Wer trägt ständig schwere Lasten mit sich herum?« fuhr er fort. »Das war die Frage, die ich mir gestellt habe. Wer muß jeden Tag viel mit sich herumschleppen? He, noch nicht gucken. Und dann kam mir die Idee.« Er schwieg einen Moment lang, als würde er noch ein paar entscheidende Veränderungen vornehmen, damit seine Präsentation auch einen perfekten Eindruck machte. »Gut. Jetzt kannst du gucken.«
Ich nahm die Hände von den Augen. Katz strahlte vor Stolz und hatte sich eine Zeitungstasche des Des Moines Register umgehängt – einen von den gelben Säcken, die Zeitungsboten sich über die Schulter werfen, bevor sie sich aufs Rad schwingen und ihre Runde machen.
»Das ist doch nicht dein Ernst«, sagte ich leise.
»Es war mir noch nie so ernst mit etwas, mein lieber Wanderfreund. Ich habe dir auch eine mitgebracht.« Er zog die für mich gedachte Tasche aus seinem Armeesack, sie war zusammengefaltet und noch originalverpackt in einer durchsichtigen Plastiktüte.
»Du kannst doch nicht mit so einer Zeitungstasche durch die Wildnis von Maine marschieren, Stephen.«
»Wieso nicht? Sie ist bequem, sie ist geräumig, sie ist wasserdicht – fast jedenfalls –, und sie wiegt nur ein paar Gramm. Das ist die ideale Wanderausrüstung. Sag mir eins: Wann hast du das letzte Mal einen Zeitungsboten mit einem Knochenbruch gesehen?« Er nickte einmal knapp und energisch mit dem Kopf in meine Richtung, als würde das jedes Gegenargument zunichte machen.
Ich bewegte meine Lippen, als Andeutung, daß ich etwas sagen wollte, aber Katz plapperte weiter, bevor ich auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte.
»Und hier ist mein Plan«, fuhr er fort. »Wir beschränken unser Gepäck auf das Allernotwendigste – kein Kocher, keine Gaskartuschen, keine Nudeln, kein Kaffee, keine Zelte, keine Packbeutel. Wir wandern und kampieren wie richtige Gebirgsburschen. Hatte Daniel Boone vielleicht einen Kunstfaserschlafsack für drei Jahreszeiten?
Weitere Kostenlose Bücher