Picknick mit Bären
aussah, als hätte er schon so manches aushaken müssen. Keith war ziemlich nett.
»Du hast doch hoffentlich nicht den Hund gestreichelt, oder?« sagte er.
»Nein.« Ich hatte das Tier vom Fenster aus gesehen, ein häßlicher, bösartiger Mischling, der auf der Rückseite des Hauses angebunden war und sich bei jedem Geräusch und jeder kleinsten Bewegung im Umkreis von 100 Metern unangemessen in Rage kläffte.
»Nicht, daß du auf die Idee kommst, ihn zu streicheln. Laß dir das gesagt sein: bloß nicht den Hund streicheln. Gerade letzte Woche hat einer ihn gestreichelt, obwohl ich ihn gewarnt hatte. Der Hund hat ihm in die Eier gebissen.«
»Wirklich?«
Er nickte. »Er wollte gar nicht wieder loslassen. Du hättest den Kerl jaulen hören sollen.«
»Wirklich?«
»Ich mußte dem Hund eins mit der Hake überbraten, damit er losließ. Glaub mir, das ist der gemeinste Scheißköter, den ich je gesehen habe.«
»Und wie ist es dem armen Kerl ergangen?«
»Na ja, gefreut hat er sich nicht gerade darüber, das kann ich dir sagen.« Er kratzte sich nachdenklich am Hals, als fiele ihm ein, daß er sich demnächst mal wieder rasieren müßte. »War auch noch ein Weitwanderer. Ist den ganzen Weg von Georgia bis hierher zu Fuß gegangen. Ziemlich weit, um sich seine Eier anknabbern zu lassen.« Mit diesen Worten stand er auf, um nach dem Abendessen zu sehen.
Das Abendessen wurde an einem langen Eßtisch serviert, und es wurde großzügig aufgetragen, Platten mit Fleisch, Schüsseln mit Kartoffelpüree und Maiskolben, ein windschiefer Holzteller mit Brot und ein Napf mit Butter. Katz kam etwas später dazu, frisch geduscht und rundum zufrieden. Er wirkte außergewöhnlich, fast übertrieben energiegeladen und kitzelte mich beim Vorübergehen spontan am Rücken, was überhaupt nicht seine Art war.
»Geht’s gut?« fragte ich.
»Mir ist es noch nie so gut gegangen, mein alter Wanderfreund, noch nie.«
Es setzten sich noch zwei andere Gäste zu uns an den Tisch, ein niedliches, etwas verschüchtert wirkendes und irgendwie züchtiges Pärchen, beide sonnengebräunt und kräftig und ebenfalls frisch geduscht. Katz und ich begrüßten sie mit einem Lächeln und fingen an, unsere Teller vollzuladen, als wir merkten, daß die beiden ein Tischgebet murmelten. Es schien kein Ende zu nehmen. Wir fingen trotzdem an zu essen.
Es schmeckte phantastisch. Keith agierte als Kellner und bestand darauf, daß wir reichlich aßen. »Wenn ihr es nicht eßt, kriegt es der Hund«, sagte er. Das Vieh ließ ich nur zu gern hungern.
Die beiden jungen Leute waren Weitwanderer aus Indiana und am 28. März am Springer Mountain aufgebrochen – ein Datum, das jetzt, in der sommerlichen Hitze eines Augustabends, unendlich weit entfernt war und irgendwie nach Schnee roch – und waren 141 Tage am Stück gewandert. Sie hatten 3.291,82 Kilometer zurückgelegt und noch 184,9 Kilometer vor sich.
»Dann habt ihr es ja bald geschafft«, sagte ich, nur um ein Gespräch anzuknüpfen.
»Ja«, antwortete die Frau. Sie sagte es betont langsam, fast in zwei Silben, als wäre ihr der Gedanke noch nie vorher gekommen. Ihre Art hatte etwas heiter Unbekümmertes an sich.
»Habt ihr je daran gedacht aufzugeben?«
Die Frau überlegte einen Moment lang. »Nein«, lautete die schlichte Antwort.
»Wirklich nicht?« Ich fand das erstaunlich. »Habt ihr nie gedacht: meine Güte, es reicht. Ich kann einfach nicht mehr. Ich will nicht mehr. Ich habe keine Lust mehr?«
Sie überlegte wieder, wobei leichte Panik sie erfaßte. Das waren Fragen, über die sie sich offenbar bisher noch nie den Kopf zerbrochen hatte.
Ihr Freund eilte ihr zur Hilfe. »Es gab am Anfang ein paar schwierige Phasen«, sagte er, »aber wir haben unser ganzes Vertrauen auf Gott gesetzt, und Sein Wille geschah.«
»Lobet den Herrn«, flüsterte die Frau fast unhörbar.
»Ach so«, sagte ich und nahm mir vor, unbedingt meine Zimmertür abzuschließen, wenn ich nachher ins Bett ging.
»Und gesegnet sei Allah für das Kartoffelpüree«, sagte Katz vergnügt und lud sich zum dritten Mal auf.
Nach dem Abendessen schlenderten Katz und ich ein Stück die Straße hinunter zu einem kleinen Lebensmittelladen, um Proviant für die Hundred-Mile-Wilderness-Tour zu kaufen, zu der wir morgen aufbrechen wollten. Katz benahm sich irgendwie komisch in dem Laden. Er wirkte einigermaßen munter, aber auch abwesend und unruhig. Wir mußten immerhin für zehn Tage in der Wildnis einkaufen, eine ziemlich
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