Picknick mit Bären
Ich dagegen durfte im Wald Spazierengehen. Ich wollte los, endlich los.
Ich suchte Katz und fand ihn im Speiseraum, er wirkte sogar recht munter. Das kam, weil er eine Bekanntschaft geschlossen hatte – eine Kellnerin mit dem hübschen Namen Rayette, die sich auf höchst kokette Weise um seine Bedürfnisse kümmerte. Rayette war über einen Meter achtzig groß und hatte ein Gesicht, vor dem sich jedes Kind gegruselt hätte, aber sie war gutmütig und schenkte großzügig Kaffee aus. Sie hätte Katz ihre Bereitschaft zur Hingabe nicht deutlicher zeigen können, wenn sie die Röcke gerafft und sich auf seine »Frühstücksplatte für den Wolfshunger« gelegt hätte. Katz hatte einen regelrechten Hormonschub.
»Oh, ich mag Männer, die gerne saftige Pfannkuchen essen«, flötete sie.
»Und der hier ist besonders saftig, meine Liebe«, erwiderte Katz mit vor Sirup und frühmorgendlicher Glückseligkeit glänzendem Gesicht. Nicht gerade Hepburn und Tracy, die beiden, aber es war trotzdem irgendwie rührend.
Rayette ging und kümmerte sich um einen anderen Gast, und Katz schaute ihr mit geradezu väterlichem Stolz hinterher. »Sie ist ziemlich häßlich, findest du nicht?« sagte er mit einem frohen, widersinnigen Strahlen.
Ich bemühte mich um Takt. »Verglichen mit anderen Frauen schon.«
Katz nickte nachdenklich und richtete dann einen plötzlich ehrfürchtigen Blick auf mich. »Weißt du, worauf es mir in letzter Zeit bei einer Frau immer mehr ankommt? Daß das Herz am rechten Fleck ist und daß sie noch alle Gliedmaßen hat.«
»Kann ich nachvollziehen.«
»Und das ist bei mir schon die oberste Kategorie. Bei den Gliedmaßen bin ich zu Kompromissen bereit. Glaubst du, daß sie zu haben ist?«
»Ich vermute, da sind noch andere vor dir dran.«
Er nickte ernüchtert. »Es ist besser, wir essen auf und machen, daß wir rauskommen.«
Das hörte ich gern. Ich trank meinen Kaffee aus, und wir gingen unsere Sachen holen. Als wir uns zehn Minuten später in voller Montur und abmarschbereit wiedertrafen, sah Katz elend aus. »Sollen wir nicht doch noch einen Tag hierbleiben?« sagte er.
»Was? Machst du Witze?« Ich war sprachlos. »Warum?«
»Weil es warm ist da drinnen, und hier draußen ist es kalt.«
»Wir müssen los.«
Er sah hinüber zum Wald. »Wir werden uns zu Tode frieren.«
Ich sah ebenfalls hinüber. »Ja, wahrscheinlich. Wir müssen trotzdem los.«
Ich setzte meinen Rucksack auf und taumelte unter dem Gewicht nach hinten – es dauerte Tage, bis ich dieses Manöver auch nur annähernd aufrecht stehend schaffte –, zog den Hüftgurt stramm und trottete los. Am Waldrand sah ich mich um, ob Katz auch hinter mir herkam. Vor mir erstreckte sich eine öde Welt aus winterkahlen Bäumen. Ich betrat mit gebührender Würde den Pfad, ein Abschnitt des ursprünglichen Appalachian Trail aus der Zeit, als hier die Route zwischen Mount Oglethorpe und Springer Mountain vorbeiführte.
Wir schrieben den 9. März 1996. Wir waren unterwegs.
Es ging zunächst hinunter in ein bewaldetes Tal mit einem plätschernden, von brüchigem Eis gesäumten Bachlauf, dem der Weg auf einer Strecke von etwa 700 Metern folgte, bevor er uns bergauf in dichtes Waldgebiet brachte. Es war, das wurde schnell deutlich, der Fuß unseres ersten großen Berges, Frosty Mountain, und er stellte uns umgehend auf eine harte Probe. Die Sonne schien, der Himmel war stahlblau, aber alles in Bodennähe war braun – braune Bäume, braune Erde, steifgefrorene, braune Blätter – und die Kälte war unnachgiebig. Ich trottete ungefähr 30 Meter weiter bergauf, dann blieb ich stehen, meine Augen quollen hervor, meine Atmung ging schwer, mein Herz raste besorgniserregend. Katz war bereits weit zurückgefallen und keuchte schlimm. Ich drängte vorwärts.
Es war eine Tortur. Das sind die ersten Tage einer Wanderung immer. Ich war einfach nicht in Form, es war hoffnungslos. Der Rucksack war zu schwer, viel zu schwer. Ich hatte mich noch nie einer solchen Anstrengung ausgesetzt, auf die ich zudem schlecht vorbereitet war. Jeder Schritt war eine Qual.
Das Schwierigste war, mit der immer wieder aufs neue entmutigenden Erkenntnis fertig zu werden, daß der Berg sozusagen nicht aufhört. Beim Aufstieg sieht man im Gegensatz zum Abstieg, wenn man den Berg im Rücken hat, nie genau, was noch vor einem liegt. Zwischen den Vorhängen aus Bäumen zu beiden Seiten, den ständig zurückweichenden Umrissen des steilen Hangs vor einem und dem eigenen müden
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