Picknick mit Bären
genervte Wanderer davon abzuhalten aufzugeben. Erst tags zuvor hatte ein junger Mann aus Surrey sie gebeten, ihm ein Taxi zu bestellen, das ihn nach Atlanta bringen sollte. Peggy hatte ihn fast dazu überredet durchzuhalten, es wenigstens noch eine Woche lang zu versuchen, aber zum Schluß war er zusammengebrochen, hatte still geweint und sie angefleht, ihn doch nach Hause gehen zu lassen.
Ich selbst verspürte dagegen zum ersten Mal den aufrichtigen Wunsch weiterzugehen. Die Sonne schien. Ich hatte mich frisch gemacht und eine Stärkung zu mir genommen, und wir hatten noch reichlich Proviant in unseren Rucksäcken. Ich hatte mit meiner Frau telefoniert, zu Hause war alles in Ordnung. Vor allem aber fühlte ich mich fit. Ich war mir sicher, daß ich einige Pfunde verloren hatte. Ich war bereit loszumarschieren. Katz strahlte ebenfalls vor Sauberkeit und sah auch schon etwas schmächtiger aus. Wir packten unsere Einkäufe auf der Terrasse zusammen, und im selben Moment fiel uns beiden zu unserer großen Freude und Erleichterung auf, daß Mary Ellen nicht mehr zu unserem Gefolge gehörte. Ich steckte noch mal den Kopf durch die Tür und fragte unsere Gastgeber, ob sie sie gesehen hätten.
»Ach die? Ich glaube, die ist vor einer Stunde gegangen«, sagte Peggy.
Die Sache wurde immer besser.
Es war nach vier Uhr, als wir endlich loszogen. Justin hatte uns gesagt, ungefähr eine Stunde Fußmarsch von hier gäbe es eine Wiese, die sich ideal zum Zelten eignete. Jetzt, im warmen Sonnenlicht des späten Nachmittags, sah der Trail einladend aus, die Bäume warfen lange Schatten, und man hatte einen weiten Blick über ein Flußtal hinweg auf wuchtige, anthrazitfarbene Berge. Die Wiese eignete sich tatsächlich ideal, um Station zu machen, Wir schlugen unsere Zelte auf und aßen die Sandwiches und Kartoffelchips und tranken die Säfte, die wir fürs Abendessen eingekauft hatten.
Dann holte ich stolz, als hätte ich ihn selbst gebacken, mehrere Päckchen Napfkuchen von Hostess hervor. Meine kleine Überraschung.
Katz’ Gesicht hellte sich auf, wie bei dem Geburtstagskind auf einem Gemälde von Norman Rockwell.
»Oh, Mann!«
»Little Debbies hatten sie leider nicht«, sagte ich entschuldigend.
»He«, sagte er. »He.« Zu mehr war er nicht fähig. Katz liebte Kuchen.
Wir teilten uns drei Napfkuchen und legten den letzten auf einen Baumstamm, wo wir ihn für später aufhoben und solange bewundern konnten. Wir fläzten uns ins Gras, mit dem Rücken an den Baumstamm gelehnt, verdauten, rauchten, fühlten uns ausgeruht und zufrieden, unterhielten uns mal ausnahmsweise - kurzum, es war so, wie ich es mir zu Hauseinmeinen optimistischen Vorstellungen ausgemalt hatte –, als Katz plötzlich leise aufstöhnte. Ich folgte seinem Blick und sah Mary Ellen, die forschen Schrittes, aus der falschen Richtung, den Pfad entlang auf uns zukam.
»Ich habe mich schon gefragt, wo ihr beide abgeblieben seid«, schimpfte sie. »Ich muß sagen, ihr seid ja echt langsam. Wir hätten längst sieben Kilometer weiter sein können. Ich sehe schon, ich muß jetzt besser auf euch beide aufpassen. Ist das ein Napfkuchen von Hostess da vorne?« Bevor ich etwas sagen konnte und bevor sich Katz einen Stock geschnappt hatte, um ihr den Schädel einzuschlagen, sagte sie: »Ich darf doch, oder?« und verschlang ihn mit zwei Bissen. Es vergingen einige Tage, bis Katz wieder lächelte.
5. Kapitel
»Welches Sternzeichen bist du?« sagte Mary Ellen.
»Cunnilingus«, sagte Katz und sah zutiefst unglücklich aus.
Sie schaute ihn an. »Das kenne ich nicht.« Sie runzelte die Stirn, als wollte sie sagen: Ich freß’ ‘nen Besen, sagte aber statt dessen: »Dabei dachte ich, ich würde alle kennen. Ich bin Waage.« Sie wandte sich an mich. »Und du?«
»Weiß ich nicht.« Ich versuchte mir etwas auszudenken. »Nekrophilie.«
»Das kenne ich auch nicht. Wollt ihr mich vielleicht verarschen?«
»Erraten.«
Das war zwei Tage später. Wir campierten auf einem kleinen Plateau, Indian Grave Gap, zwischen zwei dumpfen Gipfeln – an den einen erinnerte ich mich nur noch schwach, der andere stand uns erst noch bevor. Wir hatten in 48 Stunden 35 Kilometer zurückgelegt, eine ansehnliche Strecke für unsere Verhältnisse, aber eine ausgeprägte Lustlosigkeit, ein Gefühl der Enttäuschung, eine gewisse Bergmüdigkeit hatte sich unserer bemächtigt. Wir verbrachten unsere Tage genauso, wie wir sie immer verbracht hatten und auch in Zukunft verbringen
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