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Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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er: »Das Wandern an sich hat mir keinen Spaß gemacht. Ich fühlte mich eher dazu gezwungen. Ich mußte es tun. Ich hatte keine andere Wahl.« Oder David Horton, der Extremläufer, der 1991 den Geschwindigkeitsrekord aufstellte: Nach eigener Darstellung war er am Ende »ein geistiges und körperliches Wrack«, und während der Durchquerung von Maine hat er die meiste Zeit über furchtbar geweint. Da fragt man sich doch: Warum tun sich die Leute das an? Selbst Earl Shaffer fristete später sein Leben als Einsied- ler in den abgelegenen Wäldern von Pennsylvania. Ich will damit nicht sagen, daß der Appalachian Trail einen verrückt macht, nur, daß man für diese Wanderung irgendwie veranlagt sein muß.
    Welche Schamgefühle mich plagten, als ich meinen Ehrgeiz aufgab, die ganze Strecke zu gehen – wenn doch eine Oma in Turnschuhen, ein wandelnder Wasserball namens Woodrow und über 3.990 andere es bis Katahdin geschafft hatten? Keine. Ich würde ja immer noch den Appalachian Trail entlangwandern, nur nicht mehr jeden Meter. Kaum zu glauben, aber Katz und ich hatten bereits eine halbe Million Schritte getan. Es schien nicht unbedingt notwendig, auch noch die restlichen viereinhalb Millionen zu tun, um einen Eindruck von der Sache zu kriegen.
    Wir ließen uns also von dem witzigen Taxifahrer nach Knoxville bringen, mieteten uns am Flughafen einen Wagen und befanden uns schon am frühen Nachmittag auf dem Weg Richtung Norden, auf einer Ausfallstraße, die uns durch eine Welt führte, die wir beinahe vergessen hatten: befahrene Straßen, Ampelanlagen, riesige Kreuzungen, überdimensionale Verkehrsschilder, landverschlingende Einkaufszentren, Tankstellen, Billigkaufhäuser, Auspuffwerkstätten, Parkplätze und was sonst noch alles dazu gehört. Selbst nach einem Tag in Gatlinburg war der Kulturschock überwältigend. Ich habe irgendwo gelesen, daß einmal zwei Indianer aus dem brasilianischen Regenwald, die keine Kenntnisse von der Welt jenseits des Dschungels besaßen und auch keine Erwartungen damit verknüpften, nach Sao Paulo oder Rio gebracht wurden, und als sie sahen, woraus diese Welt bestand – aus Häusern, Straßen, Flugzeugen am Himmel – und wie grundlegend sie sich von ihrem eigenen einfachen Leben unterschied, machten sie sich beide ausgiebig in die Hose. Ich kann gut nachvollziehen, wie sich die beiden vorgekommen sind.
    Es ist so ein extremer Kontrast. Draußen auf dem Trail ist der Wald dein Universum, ganz und gar. Man erlebt nichts anderes, sieht nichts anderes, Tag für Tag. Schließlich kann man sich gar nichts anderes mehr vorstellen. Man weiß natürlich, daß es irgendwo jenseits des Horizonts große Städte, rauchende Fabrikschlote und verstopfte Highways gibt, aber diesseits, da, wo der Wald die Landschaft bedeckt, so weit das Auge reicht, herrscht die Natur. Auch die kleinen Städte, Franklin oder Hiawassee, selbst Gatlinburg, sind nur Wegstationen, die verstreut im großen Kosmos des Waldes hegen.
    Aber man braucht nur den Trail zu verlassen und irgendwo hinzufahren, so wie wir jetzt, und es wird einem klar, wie herrlich man getäuscht worden ist. Hier waren die Berge lediglich Kulisse – bekannt, vertraut, in der Nähe, aber nicht auffälliger oder folgenschwerer als die Wolken, die über die Gipfel dahinjagten. Hier tobte das Leben, rückte einem förmlich auf den Leib: Tankstellen, Wal-Marts, Kmarts, Dunkin Donuts, Blockbuster Videotheken, ein unaufhörlicher Aufmarsch kommerzieller Abscheulichkeiten.
    Sogar Katz war angewidert. »Meine Güte, ist das häßlich«, sagte er erstaunt, als hätte er so etwas noch nie gesehen. Ich schaute an ihm vorbei auf eine gigantische Shopping Mall mit einem gigantischen Parkplatz davor, und pflichtete ihm bei. Es war schrecklich. Und dann machten wir uns gemeinsam ausgiebig in die Hose.
     

10. Kapitel
     
    Es gibt ein Gemälde von Asher Brown Durand, das den Titel »Verwandte Geister« trägt und häufig als Beispiel herangezogen wird, wenn es um amerikanische Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts geht. Das Bild stammt von 1849, und es zeigt zwei Männer, die auf einem Felsvorsprung in den Catskills vor einer grandiosen Kulisse stehen, die eine jener stilisierten, untergegangenen Welten zeigt, die man offenbar nur mit einer Expedition erreichen kann, aber dazu sind die beiden Männer gänzlich unpassend gekleidet, eher wie fürs Büro, mit langen Mänteln und dicken Halstüchern. Unter ihnen, in einer düsteren Schlucht, rauscht zwischen einem

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