Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
Vom Netzwerk:
war mit dem ordentlich gepflegten Wanderweg von heute nicht zu vergleichen. Obwohl die Fertigstellung des Wegs erst elf Jahre zurücklag, war er 1948 bereits wieder in Vergessenheit geraten. Shaffer mußte feststellen, daß weite Abschnitte überwuchert oder durch Rodungen im großen Stil vernichtet worden waren. Es gab nur wenige Schutzhütten und oftmals keine Markierungen. Viel Zeit ging ihm damit verloren, daß er den Pfad über mit Gestrüpp bewachsene Berghänge erst mit einem Buschmesser freischlagen mußte oder daß er weite Umwege lief, wenn er an einer Gabelung erstmal in die falsche Richtung gegangen war. Gelegentlich stieß er auf eine Straße, und es zeigte sich, daß er kilometerweit vom Weg abgekommen war. Die Bewohner der Orte, durch die er kam, wußten oft nichts von der Existenz des Trails und wenn doch, waren sie jedesmal erstaunt darüber, daß er tatsächlich von Georgia bis Maine führte. Häufig begegneten ihm die Menschen mit Mißtrauen.
    Andererseits gab es zu der Zeit auch noch in den entlegensten Nestern fast immer ein Geschäft oder ein Cafe, und in der Regel konnte Shaffer, wenn er den Trail verließ, damit rechnen, irgendwann auf einen Linienbus zu treffen, den er anhalten konnte und der ihn in die nächste Stadt bringen würde. Obwohl er in den vier Monaten keinem Wanderer begegnete, gab es doch genug anderes Leben entlang des Wegs. Er kam oft an kleinen Farmen oder Waldhütten vorbei oder stieß auf Viehzüchter, die ihre Herden auf den grasbewachsenen Bergkuppen hüteten. Diese Lebensformen sind längst untergegangen. Heute ist der Appalachian Trail eine geplante Wildnis, auf Befehl, wenn man so will, denn die meisten Gehöfte, an denen Shaffer vorbeikam, wurden später zwangsenteignet und unauffällig in Waldland zurückverwandelt. Und noch ein paar Unterschiede zu damals: 1948 gab es doppelt so viele Singvögel in den Vereinigten Staaten wie heute, und außer den Kastanien waren die Bäume gesund. Hartriegel, Ulme, Schierling, Balsamtanne und Rotfichte gediehen alle noch. Vor allem aber hatte unser Freund Shaffer die ganzen 3.200 Kilometer Wanderweg ganz für sich allem.
    Als Shaffer Anfang August seine Wanderung beendete, auf den Tag genau vier Monate nach dem Start, und diese einmalige Leistung dem Büro der Appalachian Trail Conference zur Kenntnis brachte, gab es dort zunächst niemanden, der ihm Glauben schenkte. Er mußte erst offiziellen Vertretern seine Fotos und Wander-Tagebücher zeigen und eine, wie er sich in seinem später erschienenen Reisebericht Walking with Spring ausdrückte, »freundliche aber eingehende Prüfung« über sich ergehen lassen, bevor man ihm seine Geschichte schließlich abnahm.
    Als sich die Nachricht von Shaffers Wanderung verbreitete, erregte sie ungeheuer viel Aufsehen. Zeitungsjournalisten reisten für Interviews an, National Geographie veröffentlichte einen langen Artikel über ihn, und der Appalachian Trail erlebte ein bescheidenes Revival. Wandern ist allerdings schon immer ein seltener, geradezu exotischer Zeitvertreib in Amerika gewesen, und nach wenigen Jahren war der AT außer bei einigen Unnachgiebigen und Exzentrikern schon wieder weitgehend vergessen. Anfang der 60er Jahre tauchte der Plan auf, den Blue Ridge Parkway, eine malerische Straße südlich der Smokies, zu verlängern und dafür den entsprechenden Abschnitt des AT einfach zu überbauen. Der Plan scheiterte – aus Kostengründen, nicht etwa, weil es einen Aufschrei der Empörung gegeben hätte –, aber dafür wurde der AT an anderer Stelle beschnitten oder verkam zu einem matschigen Trampelpfad durch Gewerbegebiet. 1958 wurden, wie bereits erwähnt, von der Südhälfte, dem Abschnitt zwischen Mount Oglethorpe und Springer Mountain, 32 Kilometer gekappt. Mitte der 60er Jahre sah es für jeden sensiblen Beobachter so aus, als würde der AT nur als ein Sammelsurium unzusammenhängender, hier und da verstreut liegender, einzelner Wegstrecken überleben – in den Smokies und dem Shenandoah National Park, quer durch Vermont bis nach Maine –, einsame, übriggebliebene Abschnitte in dem obligatorischen State Park, aber ansonsten begraben unter Shopping Mails und Erschließungsprojekten. Weite Strecken des Trails führten über Privatgrundstücke, und neue Besitzer widerriefen oft das einstmals inoffiziell erteilte Wegerecht und erzwangen damit eine meist voreilige und verworrene neue Wegführung entlang befahrener Highways oder anderer öffentlicher Straßen – was kaum das

Weitere Kostenlose Bücher