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Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Gewirr von Felsbrocken ein Wildbach dahin. Jenseits, am Horizont, durch einen Baldachin aus Blättern, fällt der Blick auf eine lange Kette bedrohlich wirkender, aber herrlicher, blauer Berge. Von links und rechts schieben sich unregelmäßige Baumreihen ms Bild, die in einer alles verschlingenden Dunkelheit verschwimmen.
    Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie gern ich mich in dieses Bild hineinbegeben würde. Die Landschaft hat etwas dermaßen Ungezähmtes an sich, der Horizont etwas so Undurchdringliches, daß es auf mich wie eine tollkühne Verlockung wirkt. Natürlich würde man da draußen umkommen – von einem Puma zerfetzt, von einem Tomahawk getroffen werden oder einfach nur beim Gehen in einen jämmerlichen Tod stürzen. Das sieht man auf den ersten Blick. Und dennoch. Man sucht bereits den Vordergrund nach einem geeigneten Weg über die steilen Felsen hinunter zu dem Wildbach ab und fragt sich, ob der Engpaß dahinter wohl zu einem Nachbartal führt oder nicht. Lebt wohl, Freunde. Das Schicksal ruft. Wartet nicht mit dem Abendessen auf mich.
    Es gibt heute nichts Vergleichbares mehr. Vielleicht hat es solche Ausblicke nie gegeben. Wer weiß, welche Freiheiten sich diese romantischen Pinselquäler herausgenommen haben. Wer erklimmt schon an einem heißen Julinachmittag mit Staffelei, Klappstuhl und Farbenkasten im Gepäck einen Aussichtsfelsen mitten in gefährlicher Wildnis, wenn er nicht von dem Wunsch beseelt wäre, etwas Erhabenes und Großartiges auf die Leinwand zu bannen?
    Selbst wenn die Appalachen vor dem Industriezeitalter nur halb so wildromantisch waren wie auf dem Bild von Durand und denen anderer Maler, müssen sie doch etwas Spektakuläres an sich gehabt haben. Man kann sich heute kaum vorstellen, wie wenig bekannt das Hinterland der Ostküste einst war und welchen Reichtum es bot. Als Thomas Jefferson die beiden Forscher Meriwether Lewis und William Clark in die Wildnis schickte, rechnete er fest damit, daß sie auf zottelige Mammuts und Mastodons stoßen würden. Hätte man damals schon von Dinosauriern gewußt, hätte er die beiden sicher gebeten, ihm einen Triceratops mitzubringen.
    Die ersten Menschen, die von Osten her bis tief in die Wälder vordrangen – abgesehen von den Indianern, die bereits 20.000 Jahre zuvor so weit gekommen waren –, suchten keine prähistorischen Lebewesen, keine Passage nach Westen, auch keine neuen Siedlungsmöglichkeiten. Sie suchten Pflanzen. Amerikas botanische Vielfalt begeisterte die Europäer außerordentlich, und die Ausbeutung des Waldes brachte Ruhm und Geld. In den Wäldern des östlichen Amerikas gab es eine reichhaltige Flora, die in der Alten Welt unbekannt war, und sowohl Wissenschaftler als auch Hobbybotaniker waren gleichermaßen erpicht darauf, sich ein Stück des Kuchens zu sichern. Man stelle sich vor, ein Raumschiff würde morgen auf der Venus einen Dschungel entdecken. Was gäbe nicht zum Beispiel Bill Gates dafür, sich irgendein exotisches Gewächs von der Venus in sein Gewächshaus stellen zu können. Die Pflanze mit entsprechendem Flair im 18. Jahrhundert war der Rhododendron – ebenso angesagt waren Kamelie, Hortensie, Traubenkirsche, Sonnenhut, Azalee, Aster, Straußfarn, Trompetenbaum, Gewürzstrauch, Fliegenfalle, die virginische Kletterpflanze und die Wolfsmilch. Diese Pflanzenarten und noch Hunderte mehr wurden in den Wäldern Amerikas gesammelt und übers Meer nach England, Frankreich und Rußland verschickt, wo ihre neuen Besitzer sie ungeduldig erwarteten.
    Alles nahm seinen Anfang mit John Bartram (eigentlich fing es mit Tabak an, aber im wissenschaftlichen Sinn war Bartram der erste), einem Quäker aus Pennsylvania, geboren 1699, der nach der Lektüre eines Buches über Botanik sein Interesse für das Thema entdeckte und Pflanzensamen und -ableger an einen Glaubensbruder in London schickte. Aufgefordert, nach weiteren Pflanzen zu suchen, begab er sich auf zunehmend gefährlichere Reisen in die Wildnis und legte manchmal Tausende von Kilometern durch zerklüftetes gebirgiges Gelände zurück. Obwohl er Autodidakt war, nie Latein gelernt hatte und nur oberflächliche Kenntnisse der Linneschen Klassifikation besaß, war Bartram ein begabter Pflanzensammler, mit einem sicheren Instinkt dafür, unbekannte Arten aufzuspüren und sie überhaupt als solche zu erkennen. Von den 800 während der Kolonialzeit in Amerika entdeckten Pflanzen geht ein Viertel auf sein Konto, sein Sohn William entdeckte noch viel mehr.
    Ende des

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