Picknick mit Bären
aufmerksam gemacht, daß die Regierung des Bundesstaates – in einem jener Akte der Aufklärung, durch die sich die südlichen Staaten häufig zu profilieren versuchen – dabei sei, ein Gesetz zu verabschieden, das Lehrern in Zukunft verbieten sollte, die Evolutionstheorie an den Schulen zu unterrichten. Statt dessen sollten sie dazu verpflichtet werden, den Kindern beizubringen, Gott habe die Erde erschaffen, in sieben Tagen, irgendwann früher, sagen wir, vor der Jahrhundertwende. Der Artikel rief den Zeitungslesern ins Gedächtnis, daß dieses Thema in Tennessee schon mal auf der Tagesordnung gestanden hatte. Die kleine Stadt Dayton, zufällig ganz in der Nähe von dem Ort, in dem Katz und ich uns gerade befanden, war 1925 Schauplatz eines Gerichtsprozesses gewesen, in dem der Bundesstaat den Lehrer John Thomas Scopes angeklagt hatte, voreilig die darwinistische Irrlehre unter die Leute gebracht zu haben. Wie fast jeder Amerikaner weiß, gelang es dem Verteidiger Clarence Darrow, den Ankläger in Person von William Jennings Bryan in aller Öffentlichkeit zu demütigen, aber den meisten ist nicht bekannt, daß Darrow am Ende den Prozeß verlor. Scopes wurde verurteilt, und erst 1967 wurde das entsprechende Gesetz in Tennessee abgeschafft. Jetzt sollte es zum zweiten Mal erlassen werden – womit Tennessee endgültig den Beweis dafür lieferte, daß die Gefahr für seine Landeskinder nicht darin bestand, daß sie von Affen abstammten, sondern darin, von solchen regiert zu werden.
Urplötzlich, ich vermag auch nicht zu sagen warum, verspürte ich das dringende Bedürfnis, mich schleunigst aus dem tiefen Süden in Richtung Norden abzusetzen. Ich wandte mich Katz zu.
»Warum fahren wir nicht nach Virginia?«
»Wie bitte?«
Vor ein paar Tagen hatte uns jemand in einer der Schutzhütten erzählt, wie wunderschön, wie absolut wanderfreundlich die Berge des Virginia Blue Ridge seien. Wenn man erst mal oben sei, hatte er uns versichert, verliefen die Wege praktisch alle ohne Steigung, und man habe prächtige Ausblicke auf das breite Tal des Shenandoah River. Man könne ohne weiteres 40 Kilometer am Tag schaffen. Von den finsteren, feuchtkalten Schutzhütten der Smokies aus betrachtet, klang das paradiesisch, und der Gedanke hatte sich bei mir festgesetzt. Ich erklärte Katz, was ich meinte.
Er rutschte aufgeregt nach vorn. »Heißt das, wir lassen die ganze Strecke von hier nach Virginia aus? Überspringen sie einfach?« Er wollte offenbar nur nachfragen, ob er mich auch richtig verstanden hatte.
Ich nickte.
»Ja, verdammt noch mal.«
Als der Taxifahrer eine Minute später vorfuhr, ausstieg und uns musterte, erklärte ich ihm zögerlich und etwas ratlos – weil ich mir die ganze Sache selbst nicht gründlich überlegt hatte –, daß wir nicht mehr nach Ernestville fahren wollten, sondern nach Virginia.
»Virginia?« sagte er, als hätten wir ihn gefragt, wo man sich hier die Syphilis holen könne. Der Mann war klein, aber gebaut wie ein Gewichtheber, und er war mindestens 70 Jahre alt und hellwach im Kopf, klüger als Katz und ich zusammen. Er hatte den Gedanken hinter meinen Überlegungen begriffen, bevor ich irgend etwas erklärt hatte.
»Dann müssen Sie nach Knoxville, mieten sich da ein Auto und fahren bis Roanoke. Das ist am besten.«
Ich nickte. »Und wie kommt man nach Knoxville?«
»Wie war’s mit einem Taxi?« blaffte er mich wieder an, als hätte er einen Schwachsinnigen vor sich. Ich glaube, er war etwas schwerhörig oder er brüllte einfach nur gerne Leute an. »Kostet ungefähr 50 Dollar«, sagte er abwägend.
Katz und ich sahen uns an. »Gut. In Ordnung«, sagte ich, und wir stiegen ein.
Also auf nach Roanoke und zu den sanften, grünen Hügeln von Virginia.
9. Kapitel
Earl V. Shaffer, ein junger Mann, der gerade seinen Abschied von der Armee genommen hatte, war der erste Mensch, der den Appalachian Trail an einem Stück vom Anfang bis zum Ende abgewandert ist. Er war 123 Tage unterwegs, von April bis August 1948, ohne Zelt und häufig nur mit Straßenkarten zur Orientierung, und legte durchschnittlich 27 Kilometer am Tag zurück. Zufälligerweise erschien während dieser Zeit in den Appalachian Trail News, der Zeitschrift der Appalachian Trail Conference, ein langer Artikel von Myron Avery und dem Herausgeber Jean Stephenson, in dem ausführlich dargestellt wurde, warum die Wanderung an einem Stück wahrscheinlich nicht zu bewerkstelligen sei.
Der Pfad, den Shaffer vorfand,
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