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Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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anerkannte. Fräser schaffte danach alles nach Chelsea, wo er eine kleine Gärtnerei besaß, und verdiente sich fortan seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Azaleen, Rhododendren und Magnolien an die englische Oberschicht.
    Andere wiederum gingen aus reiner Entdeckerfreude auf Reisen, allen voran Thomas Nuttall, ein junger, kluger, aber ungebildeter Handwerker und Drucker aus Liverpool, der 1808 nach Amerika kam und seine bislang ungeahnte Leidenschaft für Pflanzen entdeckte. Er unternahm zwei große Expeditionen, die er aus eigener Tasche finanzierte, machte zahlreiche, bedeutende Entdeckungen und spendete viele Pflanzen, mit denen er ohne weiteres sehr viel Geld hätte verdienen können, großzügigerweise dem Botanischen Garten in Liverpool. In nur neun Jahren entwickelte er sich von einem Laien ohne jegliche Kenntnisse zur führenden Autorität auf dem Gebiet der Pflanzen Amerikas. 1817 produzierte er – was ganz wörtlich zu verstehen ist, denn er verfaßte nicht nur den Text, sondern setzte auch die Druckstöcke zum großen Teil selbst – sein Buch Genera of North America, das über viele Jahrzehnte hinweg als das wichtigste Nachschlagewerk für amerikanische Botanik galt. Vier Jahre später wurde er zum Direktor des Botanischen Gartens der Harvard University ernannt, ein Amt, das er mit Würde zwölf Jahre lang bekleidete; er fand trotzdem Zeit, sich auch noch zu einem führenden Experten der Vogelkunde zu machen, und legte 1832 einen viel beachteten Text über die Vogelwelt Amerikas vor. Er war nach einhelliger Aussage ein sehr freundlicher Mensch, der den Respekt all jener gewann, die seine Bekanntschaft machten. Schönere Geschichten kann das Leben eigentlich nicht schreiben.
    Bereits zu Nuttals Zeiten unterlag der Wald dramatischen Veränderungen. Pumas, Wapitis und Timberwölfe waren bereits ausgerottet, Biber und Bären standen kurz davor. Die meisten großen nordamerikanischen Kiefern der ersten Generation - Mastbaumkiefer, Strobe und Weymouthskiefer, von denen einige bis zu 70 Meter groß wurden, was ungefähr der Höhe eines zwanzigstöckigen Hauses entspricht – waren bereits gefällt worden, um daraus Schiffsmasten herzustellen oder um Weideland zu erhalten, der Rest war bis Ende des Jahrhunderts verschwunden. Es herrschte ein Geist der Rücksichtslosigkeit, die der Vorstellung entsprang, die Wälder Amerikas seien im Grunde unerschöpflich. Es war gang und gäbe, zweihundertjährige Pecanobäume einfach umzuhauen, weil sich so die Nüsse in den Ästen der Wipfel bequemer ernten ließen. Mit jedem Jahr veränderte sich der Charakter des Waldes sichtbar. Bis vor kurzem - leider nur bis vor kurzem – gab es allerdings einen Baum im Überfluß, was den Eindruck von paradiesischen Zuständen in den Wäldern Amerikas aufrecht erhielt: die Kastanie.
    Es gibt keinen anderen vergleichbaren Baum. Die amerikanische Kastanie streckt sich bis zu 30 Meter aus dem Waldboden empor, und ihre aufragenden Äste breiten sich zu einem unglaublich üppigen Baldachin aus, bis zu 4.000 Quadratmeter pro Baum, Millionen Quadratmeter Blattfläche insgesamt. Obwohl nur halb so groß wie die höchsten Kiefern in den Wäldern der Ostküste, besitzt die Kastanie einiges mehr an Masse und Gewicht, und sie ist symmetrischer geformt. In Bodennähe erreicht ein ausgewachsener Baum bis zu drei Meter Durchmesser und über sechs Meter Umfang. Ich habe einmal ein Foto gesehen, das Anfang des Jahrhunderts aufgenommen wurde. Es zeigt eine Gesellschaft, die in einem Kastanienwald ein Picknick veranstaltet, unweit von der Stelle, an der Katz und ich uns gerade befanden, in einem Gebiet, das zum Jefferson National Forest gehört. Es ist eine heitere Gruppe von Wochenendausflüglern, alle tragen schwere Kleidung, die Damen mit aufgespannten Sonnenschirmen, die Herren mit Melone und buschigen Schnauzbärten. Man sitzt im Halbkreis auf einer Decke auf einer Lichtung, vor einem Hintergrund aus steil einfallenden Sonnenstrahlen, zwischen Bäumen von sagenhafter Erhabenheit. Die Menschen nehmen sich so winzig aus, ihre Größe steht in einem so grotesken Mißverhältnis zu den sie umgebenden Bäumen, daß man sich im ersten Moment fragt, ob das Bild nicht manipuliert worden ist, so wie die Postkarten aus der Zeit, auf denen scheunentorgroße Wassermelonen oder Maiskolben zu sehen sind, die einen ganzen Wagen für sich beanspruchen, darunter die witzige Unterschrift: »Typische Farmszene in Iowa.« Aber so hat es tatsächlich einmal

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