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Piesberg in Flammen

Piesberg in Flammen

Titel: Piesberg in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich-Stefan Noelke
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Schlafzimmer blieb er stehen. Sein Gesicht zeigte ähnlich asketische Züge wie die von Jacqui, nur lagen die Augen noch tiefer in ihren Höhlen. Er trug einen langen auberginefarbenen Wollmantel, den er an der Garderobe nicht abgelegt hatte.
    Â»Simon?«, rief sie matt. »Wo kommst du her?«
    Simon antwortete nicht. Er sah zögerlich durch die Tür ins Schlafzimmer hinein und erfasste die Situation. »Was macht ihr da?«
    Â»Das geht dich nichts an«, behauptete sie und sah amüsiert von einem zum anderen. »Pieter macht das sehr gut. Wir hatten einen Auftritt.«
    Simon sah auf Pieter, nickte und trollte sich dann.
    Â»Lass mich allein«, schimpfte Jacqui. »Und mach die Tür zu.«
    Pieter schloss die Tür von außen. Er war kleiner und jünger als Simon, aber bei Weitem der kräftigere von beiden.
    Â»Gehst du jetzt?«, raunzte Simon, um zu provozieren. »Was ist mit Abendessen? Nichts? Zu spät?«
    Pieter zeigte ihm ruhig den Mittelfinger und ging die Treppe hinunter.
    Simon blieb einen Moment stehen und sah Pieter nach. Seine gelbliche Haut und die leicht gebeugte Haltung gaben ihm etwas Kränkliches, Defensives. Nur der Wuchs seiner langen Haupt- und Barthaare war kräftig. Das Auffälligste an ihm aber war die verkrüppelte linke Hand, die seine Gesten stets etwas linkisch und ungeschickt machte, sodass andere aufmerksam wurden. Das und der leichte Geruch nach Schweiß, Deodorant und Rasierwasser, der ihn ständig umgab.
    Seine Mutter rief ihn zurück ins Schlafzimmer, als ob sie etwas vergessen hätte.
    Er öffnete die Tür und sah voll Abscheu auf die in Folie daliegende Frau. »Was gibt es, Maman?«
    Â»Man hat mich angerufen«, sagte Jacqui.
    Simon sah zu Boden und rieb ein Bein am anderen.
    Â»Du wurdest entlassen. Vor Wochen schon.«
    Â»Der Job war nichts für mich.« Er klagte ihr das Leid eines kaufmännischen Angestellten in einem Unternehmen für Elektrofachinstallationen. Zum Studieren hatte er keine Lust gehabt.
    Â»Du hast einen Scheck unterschlagen. Man hat das Geld auf deinem Konto gefunden.«
    Â»Ich dachte, es sei ein Barscheck, aber man wollte mir kein Geld auszahlen. Was sollte ich denn tun? Der Mann am Schalter schlug vor, das Geld auf mein Konto einzuzahlen. Das konnte ich nicht ablehnen. Es war zu spät, um Nein zu sagen.«
    Jacqui schwieg und sah ihn an. Ihr Körper schwitzte unter der Folie. Feuchte drang aus ihrer Haut. Sie richtete sich auf und nestelte an dem Plastik herum. »Stell dir vor, jemand redet mit der Presse darüber«, murmelte sie. »Stell dir vor, was das mit meiner Karriere macht.« Sie schloss die Augen und ließ sich mit einem Seufzen zurücksinken. »Mit meinem Ruf als Künstlerin.«
    Â»Tut mir leid«, sagte Simon trotzig. »Welche Karriere meinst du?«
    Â»Verschwinde«, sagte Jacqui. Keine Frage, was er nun ohne Ausbildung zu tun gedachte. »Wo warst du überhaupt?«
    Simon antwortete nicht. Er stieg die Treppe hinunter, müde, wie er hochgestiegen war. Eine Stufe nach der anderen. Das Erdgeschoss bestand aus einem einzigen Raum mit mehreren Bereichen zum Wohnen und Essen. Jacqui hasste Wände, hinter denen andere sich verstecken konnten. Simon setzte sich in seine Werkstatt, so nannte seine Mutter den Tisch, der für ihn reserviert war. In den Regalen waren Modellschiffe in unterschiedlichen Phasen ihres Entstehens ausgestellt. Mehrere Fernsteuerungen lagen in einem offenen Schrank. Auf dem Tisch stand die Kopie der »Colin Archer«, eine Ketsch mit zwei Masten, deren Riss ursprünglich aus Norwegen stammt. Das Boot, mit dem Fridtjof Nansen und Roald Amundsen die kalten Regionen der Erde erforschten. Es war ein normaler Tisch, keine Werkbank. Simon fummelte lustlos an den Aufbauten herum. Es war weit nach zwei Uhr morgens.
    * * *
    Draußen hatte der Hund auf Pieter gewartet. Er scheuchte ihn weg, aber wie immer kam das Tier zurück und folgte ihm.
    Pieter schloss sein Rad auf und schob es auf die Straße. Das sportliche Gefährt wollte nicht zu ihm und seinem lieblosen Äußeren passen. Er stammte aus einem armen Elternhaus. Eine barmherzige Stiftung hatte ihn bis zu seinem Abitur begleitet und ihn dann an eine andere weitergereicht, davon lebte er. Bei Jacqui verdiente er sich Geld hinzu, das Rennrad war sein wertvollster Besitz.
    Er fuhr zur Straße hoch und ließ ein Auto passieren, einen

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