Piesberg in Flammen
miteinander. Als er später nach unten ging, kam ihm seine Mutter entgegen.
»Hm?«, machte sie. Eine ganz allgemeine Frage nach dem Zustand der Welt. Ohne Absicht gestellt und mehr dem Fernsehschlaf geschuldet, aus dem sie sich gerade gerissen hatte. »Wo warst du?«
»Alles in Ordnung«, sagte Hero Dyk und gab ihr einen Kuss.
Dann ging er in sein Zimmer und zog sich wieder an. Die Enge in seinem Haus bedrückte ihn.
Er war auf die Idee verfallen, auf seinem neuen Rad durch die kühle Nacht zu fahren. Jetzt gleich. Um den bösen Gedanken zu entkommen. Die Geschehnisse hatten ein ganz unspezifisches Gefühl der Schuld in ihm wachsen lassen.
Es war warm genug, wenn man sich eine Jacke anzog. Er wollte die Freiheit kosten. Die Nacht zum Tage machen, falls es gefiel. Die Neugierde spüren, die Lust. Eine Kraft, die andere Wege sucht, nur weil es sie gibt.
Das Fahrrad glänzte im Licht der Glühbirne, die den Hof hinter seinem Haus beleuchtete. Der Elektromotor fügte der Kraft, die Hero Dyk aufwendete, das Doppelte und mehr hinzu. So wurde die per Rad erreichbare Welt viel gröÃer, und sie lieà sich leichter erkunden. Sein Geländewagen blieb solange stehen.
Er fuhr am brennenden Haus vorbei und sah Heeger, der bei den Feuerwehrleuten stand. Der Brand war noch nicht ganz unter Kontrolle, aber die Rufe der Männer tönten bereits lauter als das Prasseln des Feuers. Hero Dyk setzte seinen Weg fort.
Das Rad fuhr nicht schneller als andere Räder, nur kam es fix in Fahrt, und man konnte das Tempo lange durchhalten. Eine erste Milde lag in der Luft, aber noch schmeckte man die herrliche Frische des Winters. Er schoss durch die stillen StraÃen, holperte über Kopfsteinpflaster und fand sich bald darauf in der Nähe von Pye wieder, keine zehn Kilometer vom Osnabrücker Stadtzentrum entfernt. Wie durch Zufall war er Jacqui hinterhergefahren. Ein fast voller Mond stand am Himmel, und hier, drauÃen vor der Stadt, sah man die Sterne leuchten.
Hero Dyk stellte sein Rad oben an der StraÃe auf den Ständer und verbarg sich hinter dem Stamm einer Weide. Ein Rennrad stand an das Haus gelehnt. Pieter war noch da.
Die Neugier und das Staunen trieben Hero Dyk aus dem Schatten und näher zum Haus, denn er wollte sehen, was sich tat. Er verbarg sich hinter der Eiche beim Schuppen und erschrak zu Tode, als auf der StraÃe sein Fahrrad mit lautem Scheppern umfiel. Niemand sonst schien es gehört zu haben, es blieb still in der Siedlung.
Von seinem Platz aus konnte er durch ein Fenster einen Ausschnitt der Küche sehen. Einbauschränke aus Edelstahl und einen groÃen Bauerntisch. Darauf standen eine Flasche Rotwein und ein einsames Glas. Jacqui schien nicht ganz so clean zu sein, wie sie vorgab.
Da huschte die Künstlerin selbst vor dem Fenster vorbei. Sie drehte sich leicht, wie tanzend, und jetzt vernahm Hero Dyk auch die Musik, die gedämpft aus dem Haus drang. Erneut tauchte Jacqui auf, tanzte zum Tisch, ergriff das Glas und nahm einen Schluck. Sie trug ein enges weiÃes Unterhemd und eine Strumpfhose.
Weder Pieter noch Simon waren zu sehen. Jacqui schien mit sich selbst beschäftigt zu sein. Aber Pieters Fahrrad stand vor dem Haus.
Hero Dyk warf einen Blick auf das Gebäude, in dem Trush-Orbeek wohnte. Es lag im Dunkel bis auf ein einsames Licht in einem Fenster. Das Mondlicht verlieh dem nächtlichen Grau der Ziegelsteine eine helle Schattierung. Die Fenster sahen aus wie schwarze Löcher. Oben die Augen und unten lange Zähne. Das künstliche Licht in dem einen Raum wirkte wie eine Träne.
Hero Dyk tastete sich vorwärts, um besser sehen zu können, aber plötzlich schaltete sich die AuÃenbeleuchtung ein. Ein Flutlicht, das den ganzen Hof erhellte. Ein Hund sprang auf den Schuppen zu, hinter dem er kauerte. Carlsson. Es war seine Bewegung, die das Licht eingeschaltet hatte. Das Tier verbellte ihn nicht und griff auch nicht an. Es schnüffelte aus eigenem Interesse, nicht aus einer Pflicht heraus, die es dem Hof schuldete.
Hero Dyk streichelte den Hund, bis sich ihm abrupt die Nackenhaare aufstellten in dem Wissen, dass er einen ganz entscheidenden Aspekt der Situation auÃer Acht gelassen hatte. An etwas hatte er nicht gedacht: Sein Rücken war völlig ungedeckt.
Sein Kopf explodierte. Ein helles Licht blieb in seinem Hirn und ein Fiepen in seinem Ohr, wo eben noch eine Vorstellung von Raum und Zeit geherrscht
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