Pilger Des Hasses
zuvorzukommen. »Mein Name ist Ciaran. Ich bin der Sohn einer walisischen Mutter, und ich kehre dorthin zurück, wo ich geboren wurde, um mein Leben zu beenden, wie es begonnen hat. Ihr seht die Wunden an meinen Füßen, Bruder, aber was mich am meisten schmerzt, ist nirgends an mir zu sehen. Ich habe eine tödliche Krankheit, die für andere keine Bedrohung ist, die meinem Leben aber bald ein Ende setzen wird.«
Das konnte wahr sein, dachte Cadfael, während er die geschwollenen Fußsohlen und die von Kies und Steinen zerschnittenen Zehen mit Öl reinigte. Das fiebrige Feuer in den tiefliegenden Augen konnte bedeuten, daß im Innern ein noch grimmigeres Feuer wütete. Zwar schien der junge Körper, der jetzt entspannt dasaß, gut gebaut und nicht ausgemergelt, aber das war kein Beweis für eine makellose Gesundheit. Ciarans Stimme blieb leise, gleichmäßig und fest. Wenn er wußte, daß er sterben mußte, dann hatte er sich damit abgefunden.
»Ich habe mir eine Bußpilgerschaft auferlegt und bitte um Heil für meine Seele, was von größter Bedeutung ist. Ich will barfuß und mit einer Bürde beladen zum Stiftsherren von Aberdaron pilgern, damit ich nach meinem Tode auf der heiligen Insel Ynys Enlli begraben werden kann, deren Erdboden aus den Gebeinen und dem Staub von Tausenden und Abertausenden von Heiligen besteht.«
»Ich hatte gedacht«, erwiderte Cadfael nachsichtig, »daß man eine solche Gunst auch erwerben kann, wenn man beschuht und gemächlich und demütig wie jeder andere Mann dorthin geht.« Trotzdem, es war für einen gläubigen Waliser, der sein Ende nahe wußte, ein verständlicher Wunsch. Aberdaron, an der Spitze der Halbinsel von Lleyn gegenüber der heiligsten Insel der walisischen Kirche gelegen, war die letzte Ruhestatt vieler Menschen, und die Gastfreundschaft der Stiftsleute dort wurde keinem Menschen verweigert. »Ich will Euer Opfer nicht in Zweifel ziehen, aber ein selbstauferlegtes Leiden scheint mir etwas überheblich und nicht gerade demütig.«
»So mag es sein«, sagte Ciaran zurückhaltend, »aber das nützt mir jetzt nichts. Ich bin gebunden.«
»Das ist wahr«, warf Matthew von der Tür her ein. Gemessen und doch heftig ertönte seine Stimme, etwas tiefer als die seines Gefährten. »Unwiderruflich gebunden! Das sind wir beide, ich nicht weniger als er.«
»Aber wohl kaum durch dasselbe Gelübde«, entgegnete Cadfael trocken. Denn Matthew trug gute, stabile Schuhe, die etwas ausgetreten waren, aber immer noch einen Schutz vor den Steinen auf der Straße boten.
»Nein, nicht durch dasselbe Gelübde. Aber dennoch gebunden.
Und ich vergesse meine Gelübde ebensowenig, wie er die seinen vergißt.«
Cadfael legte den Fuß, den er eingesalbt hatte, nieder, schob ein gefaltetes Tuch darunter, und hob den zweiten Fuß auf seinen Schoß. »Gott verhüte, daß ich je einen Mann in Versuchung bringe, seinen Eid zu brechen. Ihr zwei müßt tun, was ihr geschworen habt. Aber Ihr könnt wenigstens Eure Füße etwas ausruhen, bis die Feier vorbei ist. Damit hätten sie drei Tage Zeit zum Verheilen, und hier im Kloster ist der Boden eben. Und wenn die Wunden verheilt sind und Ihr weiterziehen wollt, gebe ich Euch eine Tinktur mit, die Eure Fußsohlen abhärtet. Warum nicht, wenn Ihr nicht geschworen habt, auf jegliche Hilfe von anderen Menschen zu verzichten? Und da Ihr zu mir gekommen seid, nehme ich an, daß ihr nicht so weit gegangen seid. So, bleibt noch ein wenig sitzen und laßt die Tinktur trocknen.« Er erhob sich von den Knien, begutachtete kritisch seine Arbeit und wandte sich dem Leinentuch zu, das Ciaran um den Hals trug. Er legte beide Hände sanft auf die Kordel, an der das Kreuz hing, und wollte sie ihm über den Kopf ziehen.
»Nein, laßt das!« Es war ein leiser, aber wilder Ausbruch, und Ciaran hielt Kreuz und Kordel fest und drückte seine Last heftig an sich. »Rührt es nicht an! Laßt das!«
»Aber Ihr«, sagte Cadfael erschrocken, »könnt es doch gewiß selbst abnehmen, während ich die Wunde versorge, die es Euch zugefügt hat? Es dauert nicht lange. Warum also nicht?«
»Nein!« Ciaran packte das Kreuz mit beiden Händen und drückte es an sich. »Keinen Augenblick will ich es abnehmen, ich will es Tag und Nacht tragen! Nein! Laßt mich!«
»Dann hebt es etwas an«, sagte Cadfael resigniert, »und haltet es hoch, während ich den Schnitt versorge. Nein, keine Angst, ich will Euch nicht hintergehen. Laßt mich nur das Tuch abnehmen und sehen, wie groß die
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