Pilger Des Hasses
Gelübde ist ein Gelübde, und wenn ein Mann aus freien Stücken eine solche Qual auf sich nimmt, dann kann ein anderer wohl nicht viel tun, um es zu verhindern. Er kann ihm nur Gesellschaft leisten, und das tut der Junge hingebungsvoll, denn er weicht nie von seiner Seite.«
Sie stand jetzt vor der Tür und atmete genießerisch den Duft der sonnenbeschienenen Kräuter ein. Dann blickte sie noch einmal zurück und fügte hinzu: »Da sind auch noch einige, die können sich so oft und so laut, wie sie wollen, Pilger nennen - aber ich würde ihnen keine zwei Schritte weit trauen. Ich glaube, Strolche gibt es überall, sogar unter Heiligen.«
»Solange die Heiligen Geld in der Börse haben oder etwas bei sich tragen, das zu stehlen sich lohnt«, stimmte Cadfael traurig zu, »sind die Schurken nicht weit.«
Ob Alice Weaver nun mit ihrem seltsamen Reisegefährten gesprochen hatte oder nicht, auf jeden Fall kam dieser eine halbe Stunde später zu Cadfaels Hütte, noch bevor der junge Rhun aufgetaucht war. Cadfael war wieder beim Jäten, als er die beiden kommen hörte; oder besser, er hörte die langsamen, geduldigen Schritte des Gesunden, unter denen der Kies auf dem Weg knirschte. Der andere ging geräuschlos; er trat vorsichtig und sachte auf den Grassaum, der unter seinen mißhandelten Füßen kühl und lindernd war. Das einzige Geräusch, das sein Kommen ankündigte, war das lange, mühevolle Seufzen und das schwache Zischen, mit dem der Atem schmerzhaft eingezogen wurde. Noch bevor Cadfael sich aufrichtete und herumdrehte, wußte er, wer da kam.
Sie waren etwa im gleichen Alter und ähnelten sich auch in Knochenbau und Hautfarbe; etwas mehr als mittelgroß waren sie, doch der eine, der so mühsam schritt, war etwas gebeugt.
Sie hatten braune Haare und dunkle Augen und waren etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Doch sie waren einander nicht so ähnlich, daß man sie für Brüder oder Verwandte halten konnte.
Der Gesunde hatte eine etwas dunklere Haut, als hätte er sich mehr in Luft und Sonne aufgehalten, und breitere Wangen-und Kieferknochen; er hatte ein stolzes, verschlossenes Gesicht, das beunruhigend still blieb und nichts verriet. Das Gesicht des Leidenden war länglich, beweglich und leidenschaftlich. Seine Wangenknochen waren hoch, die Wangen darunter eingefallen, die Lippen vor Schmerz oder in unbändiger Leidenschaft zusammengepreßt. Zorn mochte einer seiner ständigen Gefährten sein, und brennende Inbrunst ein anderer. Der junge Matthew folgte ihm stumm und in eifersüchtiger Aufmerksamkeit.
Cadfael dachte an Alice Weavers wortreiche Vertraulichkeiten und betrachtete die vernarbten, geschwollenen Füße und den aufgescheuerten Hals. Der Pilger hatte sich ein Stück Leinentuch unter den Kragen seines einfachen dunklen Mantels gelegt, um die Reibung der dünnen Schnur zu mildern, an der ein schweres Eisenkreuz hing. Das Kreuz trug eine blattähnliche Auflage, wahrscheinlich aus Gold, und hing schwer vor seiner Brust. Nach der roten Linie auf dem Leinentuch zu urteilen, war das Polster neu oder es hatte nicht viel geholfen. Die Schnur war schneidend dünn und das Kreuz sehr schwer. Woran konnte ein junger Mann so sehr verzweifeln, daß er beschloß, sich selbst zu foltern? Glaubte er denn, Gott oder St. Winifred seien erfreut, wenn sie sein Leiden sähen?
Fiebrig glänzende Augen musterten ihn. Dann fragte eine leise Stimme: »Seid Ihr Bruder Cadfael? Das ist der Name, den Bruder Denis mir nannte. Er sagte, Ihr hättet Tinkturen und Salben, die mir helfen könnten. So weit jedenfalls«, setzte er hinzu, während er Cadfael wie gebannt betrachtete, »wie man mir überhaupt helfen kann.«
Cadfael betrachtete ihn nachdenklich, doch bevor er Fragen stellte, dirigierte er die beiden in seine Hütte und ließ den Leidenden niedersitzen, um die Wunden sorgfältig zu untersuchen. Der junge Matthew baute sich neben der offenen Tür auf; er achtete darauf, nicht das Licht zu versperren, aber er wollte nicht eintreten.
»Ihr seid recht weit ohne Schuhe gelaufen«, sagte Cadfael, der niederkniete, um die Wunden zu begutachten. »War eine solche Grausamkeit denn nötig?«
»Das war sie. Ich hasse mich nicht so sehr, um dies ohne Grund auf mich zu nehmen.« Der schweigsame Bursche an der Tür regte sich, ohne aber sein Schweigen zu brechen. »Ich habe ein Gelübde abgelegt«, fuhr der Verletzte fort, »das ich nicht brechen werde.« Anscheinend hatte er das Bedürfnis, sich zu erklären, um weiteren Fragen
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