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Pilger des Zorns

Pilger des Zorns

Titel: Pilger des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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seiner Verzweiflung hätte er laut aufschreien können, doch die Zunge versagte den Dienst. Da geschah etwas Merkwürdiges, zutiefst Beunruhigendes. Die Gestalt des Greises verblasste, und plötzlich stand ein junger Mann vor ihm. Lockenkopf, verwegen und mit grimmigem Blick. Und siehe – das Unerwartete geschah. Ohne zu feilschen, ja ohne einen Obolus überhaupt nur zu erwähnen, lotste er ihn zu seinem Nachen, ergriff das Ruder und bedeutete ihm, Platz zu nehmen.
    Hilpert war das alles nicht geheuer, und er blieb unschlüssig stehen. Weshalb, war ihm ein Rätsel, wünschte er sich doch nichts sehnlicher als ein Refugium im Reich der Schatten. Doch da war dieses unüberwindliche Misstrauen gegenüber diesem Mann, weshalb er von seinem Vorhaben Abstand nahm.
    Bereit zum Auslaufen, sah ihn der Fährmann mit zusammengezogenen Brauen an. Die Zornesader an seiner Stirn verfärbte sich, ebenso wie die Farbe seines Gesichts. »Komm zu uns, zögere nicht!«, sprach er mit drohendem Unterton, aber Hilpert blieb stocksteif stehen. Da erhob sich der Fährmann, griff zum Messer und bewegte sich bösartig zischend auf ihn zu. Hilpert verharrte immer noch regungslos, unfähig, klar zu denken. Nicht so der Fährmann, der schwer atmend vor ihm stehen blieb, hämisch grinsend sein Messer zückte, weit ausholte und …
    »Beim Schweife Satans – was für eine Plackerei!«
    »Hlavu vzh ů ru, bratr! [10]  – gleich ist es geschafft!«
    Es war ein Fluch, der dafür sorgte, dass sich Hilperts Traumgespinste in nichts auflösten, doch wach war er deswegen noch lange nicht. Zwar war er sich bewusst, dass er geträumt hatte. Wovon, war ihm jedoch genauso schleierhaft wie die Tatsache, warum er wie leblos liegen blieb.
    Der Lärm kam von draußen, von jenseits der Schlaflaube, die sich mittschiffs vor dem Hauptmast befand. Was der Grund dafür war, bekam er jedoch nicht mit. Ein Dröhnen im Kopf, gegen das die Posaunen der himmlischen Heerscharen wie ein laues Lüftchen wirkten, wälzte sich Hilpert auf seiner Decke hin und her. Vor Müdigkeit fielen ihm fast die Augen zu, und eine bleierne Trägheit hielt ihn mit eisernen Krallen auf seinem Lager fest. Eher aus Instinkt denn aus logischer Überlegung heraus tastete er schließlich nach Richwyn, mit dem er sich seinen Schlafplatz teilte. Doch der war über alle Berge, nicht auffindbar.
    Dies war des Schlechten aber immer noch nicht genug. Wieder halbwegs klar, schoss würgender Brechreiz in ihm empor, und die ›Charon‹, so schien es, wurde von einer Seite auf die andere geworfen. Wie in einem Sturm auf See.
    Ein Schlafmittel. Oder ein Gift. Oder was auch immer in den Weinschlauch, der beim Nachtmahl die Runde gemacht hatte, hineingeträufelt worden war. Mit dem letzten Rest an Energie, die noch in ihm steckte, rappelte sich Bruder Hilpert auf und kroch auf allen vieren nach Steuerbord.
    Indes nur, um eine neuerliche Überraschung zu erleben.
    Der Weg nach draußen war versperrt, die Zeltbahn nicht nur geschlossen, sondern festgezurrt. Auf akribische Art und Weise. Darüber hinaus, um sicherzugehen, mit einem dicken Knoten versehen.
    Raus hier!, durchzuckte es sein Gehirn, sodass die Schläfen schmerzten. Immer noch auf allen vieren, wurde Bruder Hilpert von Krämpfen geschüttelt, und der Schweiß, kalt und ätzend und dickflüssig, tropfte auf seine zitternde Hand. Nicht nur in seinem Körper, sondern auch sonst schien alles in Bewegung. Kein Halt, kein Luftholen, ja nicht einmal ein Lichtstrahl, an dem er sich hätte orientieren können. Alles war Finsternis, Taubheit, infernalischer Gestank. Dazwischen jedoch, allenfalls vage, ein Knarren. Als ob eine Luke, Falltür oder dergleichen geöffnet würde. Und nochmaliges Fluchen. Stimmengewirr.
    Und eine Finsternis, die Bruder Hilpert auf einmal wie Balsam vorkam.
    Das Reich der Toten.
    Endlich.

     

INTERLUDIUM (I)
    Citissime! [11]

     
    An Girolamo Farnese, Generallegat und Präses der Heiligen Inquisition zu Rom

     
    Hochwürdigste Eminenz!

     
    Ich hoffe, Ihr befindet Euch wohl, was Wir, Prior des Dominikanerkonventes zu Würzburg, von Uns leider nicht behaupten können.
    So vernehmet denn, hochwohlgeborene Eminenz, was sich am gestrigen Tage, dem 2. im Monat Februar Anno Domini 1416, zugetragen hat. Zuvor jedoch eine untertänigste Bitte: Möge das, was Wir Euch anvertrauen, allzeit unser beider Geheimnis bleiben. Ist doch der Schaden, welcher der Heiligen Mutter Kirche erwachsen könnte, jetzt schon immens.
    Wisset denn,

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