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Pilger des Zorns

Pilger des Zorns

Titel: Pilger des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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flaumiger Dunst stieg aus den Niederungen empor. Aus dem Uferschilf war der Ruf einer Rohrdommel zu hören, und das Licht des werdenden Tages übergoss die Flussauen, auf denen eine Schafherde lagerte, mit seinem Glanz. Die Wälder am gegenüberliegenden Ufer streiften ihr Nachtgewand ab und erwachten zu neuem Leben.
    »Was habt Ihr gerade gesagt?« Der Schrei eines Habichts, der im Frühlicht hoch droben seine Kreise zog, rüttelte Bruder Hilpert wach. Zum ersten Mal, seit er sich von seinem Lager erhoben hatte, sah er Richwyn richtig an. Und war, ob der überschatteten Augen, ihrer tiefen Höhlen und des stumpfen Blickes wegen höchst irritiert.
    Als könne er Gedanken lesen, kam der Sackpfeifer einer Frage zuvor. »Gesetzt den Fall, Gott ist allmächtig – wie kommt es dann, dass es so viel Leid auf der Welt gibt, Bruder?«
    »Wäre ich Inquisitor, müsste ich diese Frage als ketzerisch betrachten«, entgegnete Bruder Hilpert mit sanftem Tadel. Woraufhin er hinzufügte: »Wobei die Frage, wer ein Ketzer ist und wer nicht, immer schon einen großen Reiz auf mich ausgeübt hat.«
    Richwyn lächelte, jedoch längst nicht so unbeschwert wie sonst. Da war etwas in seinem Blick, das Hilpert stutzig machte. Dieses unbestimmte Gefühl, dem Spielmann schon einmal begegnet zu sein. Die Frage war allerdings, wo. Und wann. »Und das von einem Zisterzienser – ich muss schon sagen!«, rief Richwyn mit gespielter Entrüstung aus. »Bei Euch hätte ich ja mit allem gerechnet – mit einer derartigen Bemerkung allerdings kaum.«
    »Dann habt die Güte und tut mir kund, was genau unter einem Ketzer zu verstehen ist«, ließ sich Bruder Hilpert nicht beirren, verschränkte die Arme und wandte sich dem fast einen Kopf größeren Spielmann zu.
    »Gute Frage!«, blockte dieser jedoch ab. »Wobei es mir freilich nicht zusteht, mich zu derart tiefschürfenden Problemen zu äußern. Einfacher Ritter der Landstraße, der ich nun einmal bin.«
    »Angenommen, dies träfe zu –«, verschärfte Bruder Hilpert seinen Ton, »wäre ich an der Meinung eines vermeintlich einfachen Mannes dennoch brennend interessiert.«
    Richwyns Blick verdüsterte sich, und er wandte sich wieder den Dunstschwaden zu, die sich im Verlauf ihres Gespräches verdichtet und das Manövrieren auf dem Fluss nicht gerade erleichtert hatten. Wie aus dem Nichts stieß plötzlich ein Kormoran auf die olivgrünen Fluten herab, packte eine Flussbarbe und entschwand. »Nun gut –«, begann er stockend, »da Ihr es anscheinend ganz genau wissen wollt, Bruder …«
    »Jetzt steh hier nicht rum und halt Maulaffen feil! Sonst zieh ich dir das Fell über die Ohren, du Tunichtgut!«
    Mit einer Gelassenheit, die einer gezielten Provokation gleichkam, drehte sich Richwyn nach dem Kapitän um. Dieser stand am Ruder, der Schiffsjunge hingegen auf der Backbordseite, von wo aus die Sicht besser war. »Und was, Herr der Weltmeere, gibt es für mich zu tun?«
    »Jede Menge. Oder ist es dir lieber, wenn ich dir deine Ration kürze?« Das intakte Auge des Lockenkopfes blitzte jähzornig auf. »Und noch was: Dein affektiertes Getue kannst du dir in Zukunft sparen. Sonst wirst du für jede Meile auf diesem gottverdammten Fluss blechen. Und zwar auf Heller und Pfennig. Das heißt, falls du überhaupt Geld bei dir hast. Wenn nicht, lasse ich dich in den nächstbesten Schuldturm werfen!«
    »Ein verlockendes Angebot«, raunte Richwyn Bruder Hilpert zu und verzog dabei keine Miene.
    »Was hast du da eben gesagt, Possenreißer?«
    »Nichts, Hochwohlgeboren, nichts.«
    »Dann mach dich an die Arbeit, Einfaltspinsel, sonst gerbe ich dir das Fell!« Dann richtete der Kapitän das Wort an den Schiffsjungen, dies allerdings in ungewöhnlich mildem Ton: »Und du auch, Jobst. Rahsegel setzen!«
    »Geht in Ordnung, Wenzel.« Bruder Hilpert stutzte. Der Jüngling wirkte gänzlich verändert. Selbstbewusster. Zuversichtlicher. Von seiner Schüchternheit war kaum noch etwas übrig geblieben.
    Der Kapitän hingegen schien dies überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen. »Rahsegel setzen!«, wiederholte er und hielt auf die Mitte des Flusses zu.
    »Ich denke, das wird nicht nötig sein.«
    Der Kapitän lief puterrot an. Bevor sich sein Zorn jedoch entlud, rissen die Dunstschwaden auf und ein verschlafener, mit Wallgraben und Palisaden umgebener Marktflecken kam in Sicht.
    Bruder Hilpert sah den Spielmann fragend an.
    »Marktheidenfeld!«, kommentierte dieser knapp. »Eine knappe Meile südlich von

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