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Pilger des Zorns

Pilger des Zorns

Titel: Pilger des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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herhalten muss. Vor allem gegenüber dem Gesinde. Von der Frage, wie Ihr nach deren hoffentlich baldiger Genesung mit Eurer Gattin zu verfahren gedenkt, gar nicht zu reden. Oder der Frage, welche Form der Buße für Eure an Ruchlosigkeit nicht zu überbietende Tat akzeptabel erscheint.«
    »Buße?«
    »Ihr habt richtig gehört, mein Sohn. Oder habt Ihr gedacht, Ihr könntet einfach mir nichts, dir nichts zur Tagesordnung übergehen?«
    »Reicht meine ehrliche Zerknirschung etwa nicht aus?«
    »Mitnichten, mein Sohn.« Der Burgkaplan trat aus dem Schatten, in dem er bislang verharrt hatte, und lächelte. »Wiewohl derlei Gefühlsregungen, speziell unter Eheleuten, in der Regel nicht lange anzuhalten pflegen. Um es prosaischer auszudrücken: Ihr habt einen Mordversuch begangen, mein Sohn. Da gibt es nichts zu beschönigen. Höchstens zu bereuen. Und zwar eine Menge.«
    »Und wer sagt Euch, dass es einer war?«
    »Der geradezu unverwechselbare Geruch. Und der Becher, der sich in meiner Obhut befindet. Noch irgendwelche Fragen?«
    Nein, keine. Angesichts dessen, was ihm bevorstand, fuhr ihm der Schreck in sämtliche Glieder. Jetzt war guter Rat teuer. Sonst würde es ihm ans Leder gehen.
    »Und was verlangt Ihr von mir?«, presste er hervor, drehte sich zur Seite und rappelte sich mühsam auf.
    »Buße zu tun.«
    »Und in welcher Form?«
    »Um des Herrn Zorn zu besänftigen, werdet Ihr zum Schrein der Heiligen Drei Könige zu Köln pilgern und die Vergebung Eurer Sünden erflehen. Und zwar bereits am morgigen Tag.«
    »Einverstanden.«
    Der Burgkaplan hüstelte, und ein herablassendes Grinsen flog über sein feistes, von blauen Äderchen verunstaltetes Gesicht. »Da wäre noch etwas.«
    Irgendwie waren diese Pfaffen doch alle gleich. Erst der kleine Finger, dann die ganze Hand. »Euer gehorsamer Diener!«, feixte er und strich sich das härene Büßergewand glatt.
    »Vom morgigen Tage an gerechnet werdet Ihr für die Dauer eines Jahres diese Burg und das dazugehörige Stadtprozelten am Main nicht mehr betreten. Mit anderen Worten: Solltet Ihr Euch erdreisten, die Euch auferlegte Bußleistung zu umgehen oder vor dem Tage der Himmelfahrt Mariens Anno Domini 1417 diese Gefilde wieder zu betreten, sehe ich mich gezwungen, mein Schweigen zu brechen und die heutigen Vorfälle dem Hochmeister des Deutschen Ordens kundzutun. Auf dass er sich des Falles annehmen und gegebenenfalls über Euch zu Gericht sitzen möge. Überflüssig zu erwähnen, dass Ihr mich zu gegebener Zeit in angemessener Weise entschädigen werdet. Und nun geht mit Gott, mein Sohn – und in Frieden!«

     

VIGILIEN
    Worin Bruder Hilpert von Albträumen geplagt wird und an Bord der ›CHARON‹ höchst merkwürdige Dinge geschehen.

     
    Als er den Styx erreichte, war es stockfinster. Über den Wassern schwebten giftgrüne Nebelschwaden, verschmolzen zu Figuren, die ihm vage bekannt vorkamen, verflüchtigten sich, bevor sie Gestalt annahmen. Der Fluss war zähflüssig wie Lava, das jenseitige Gestade seinen Blicken entzogen. Die beklemmende Stille ließ ihn frösteln, und er führte Selbstgespräche, damit er nicht den Verstand verlor. Auf einmal, ohne dass er sich dagegen wehren konnte, war die Erinnerung in ihm verblasst, an seine Herkunft, seinen Namen, sein ganzes früheres Leben. Einzig der Pilgerstab, auf den er sich stützte, verband ihn noch damit. Er war ein wandelndes Nichts, auf dem Weg ins Reich der Schatten.
    Auf den ersten Blick sah die Silhouette vor ihm wie ausgedörrter Schlehdorn oder ein Haselnussstrauch aus. Doch dann, beim Nähertreten, geriet er plötzlich in Bewegung und erwies sich als steinalter, mit Umhang und Kapuze bekleideter Mann. Hohlwangig, runzlig, gebeugt. Der Mann, nach dem er auf der Suche war.
    Doch das war erst der Anfang. Auf einen Gehstock gestützt, der dem seinen zum Verwechseln ähnlich war, ging ein Ruck durch die tief gebeugte Gestalt, und der Fährmann baute sich dicht vor ihm auf. »Dein Obolus!«, herrschte er ihn an, und ein Schwall übel riechender Atemluft hüllte ihn ein. Aus Angst, es sich mit dem Greis zu verderben, kramte er wie von Sinnen in seiner Geldkatze herum, doch er wurde nicht fündig. Er kehrte ihr Inneres nach außen, rüttelte, schüttelte, quetschte sie – doch mehr als ein lumpiger Kupferpfennig sprang nicht dabei heraus. Er war am Ende, der Verzweiflung nahe.
    Der Fährmann, auf dem linken Auge blind, blieb indes hart. »Zu wenig!«, beharrte er barsch. »Dann bis in 100 Jahren!«
    In

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