Pilger des Zorns
Burg …« Doch dann verstummte er.
»Burg Rothenfels, ich weiß.«
Der Spielmann fuhr zusammen, und seine Stimme sank zu einem eindringlichen Flüstern herab. »Wenn Euch Euer Leben lieb ist, Bruder«, beschwor er Bruder Hilpert, »erwähnt diesen Ort nie wieder. Und schon gar nicht, solange Ihr an Bord dieses Schiffes seid.«
Dann wandte er sich seiner Arbeit zu.
H
Man schrieb den Tag der Himmelfahrt Mariens. Und so war es kein Wunder, dass der Kai des Marktfleckens wie leer gefegt war. Bruder Hilpert fragte sich, ob überhaupt jemand an Bord gehen würde. Außer einem Tagelöhner, der die Taue auffing, einem Krüppel auf einem Rollbrett und einem herumstreunenden Köter war kein Mensch zu sehen.
Das sollte sich mit dem Auftauchen eines mit Hut, Umhang und geflickter Hose bekleideten Mannes jedoch ändern. Allem Anschein nach hatte er es eilig und strebte mit Riesenschritten der Anlegestelle zu. Knapp 40, gedrungen, feist und ungepflegt, hatte er den Hut tief in die Stirn gezogen und richtete die Froschaugen stur geradeaus. Der Grund, weshalb er den Krüppel auf dem Rollbrett erst im letzten Moment sah.
»Eine milde Gabe, frommer Bruder!«, skandierte der Bettler, der nur noch aus Rumpf, wild rudernden Armen und verfilztem grauen Haupthaar bestand. Zum Schutz gegen das kantige Pflaster hatte er seine Hände mit Lumpen umwickelt, und Bruder Hilpert erkannte auf Anhieb, dass die bemitleidenswerte Kreatur kein Scharlatan war.
»Aus dem Weg, Abschaum!«, zischte der mutmaßliche Passagier, während sich der Griff um seinen Pilgerstab verfestigte. »Sonst zieh ich dir eins über den Schädel!«
»So habt doch Mitleid!«, lamentierte der Krüppel, ruderte bis auf eine Armlänge an den Fremden heran und brach in lautes Wehklagen aus. Die Ablehnung, auf die er stieß, schien er überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen. »So wahr mir Gott helfe: Keine Menschenseele kümmert sich um mich. Eine milde Gabe, Herr, und mein immerwährender Dank ist Euch …«
»Hundsfott, verkrüppelter – aus dem Weg!«
»… gewiss! Ach, was sag ich! Nicht nur der meinige, sondern auch der sämtlicher Heiligen, Engel und Erzengel im ganzen Himmelreich! Nur einen Kupferpfennig, frommer Wanderer, und ich will Euch loben und preisen …«
»Noch ein Wort, Missgeburt – und ich traktiere dich mit meinem Stock!«
»… und Dank sagen immerdar! Auf dass es Euch wohlergehe für das, was Ihr für einen Notleidenden wie mich getan habt!« Ungeachtet der Tracht Prügel, die er jeden Moment beziehen würde, hatte sich der Bettler förmlich in Rage geredet. Sein Gesicht war gerötet, der Blick flehentlich und starr. Um seinem Lamento Nachdruck zu verleihen, riss er die Arme empor und schickte sich an, sich im Wams des Fremden festzukrallen.
Als habe er damit gerechnet, wich dieser jedoch blitzschnell aus. Damit war die Angelegenheit freilich noch nicht erledigt. Ein Lächeln auf den Lippen, das ans Diabolische grenzte, fletschte der Pilger die Zähne und baute sich vor dem Krüppel auf. Von der Eile, die er an den Tag gelegt hatte, war nichts mehr zu spüren. Eher davon, dass er darauf aus war, dem Krüppel eine Lektion zu erteilen. Und zwar eine, die er so schnell nicht vergaß. Dass es mit Bruder Hilpert, dem Schiffsjungen und dem Tagelöhner gleich drei Zeugen gab, schien ihn nicht sonderlich zu interessieren.
Erst als die Spannung unerträglich wurde, ergriff der Pilger die Initiative und trieb sein Opfer vor sich her. Der Bettler erstarrte und sah dem, was nun folgen würde, mit einer Mischung aus Furcht und ungläubigem Staunen entgegen.
»Not leidend – soso«, knurrte der Pilger, spie demonstrativ aus und traktierte den Krüppel mit seinem Stab. Seine Züge verhärteten sich, finsterer ging es wirklich nicht. »Hältst du mich für so dumm, dass ich dir das abkaufe?«
»Nur gemach, Herr, gemach!«, wimmerte der Gnom und trat vorsichtshalber den Rückzug an. »Kein Grund, um Euch meinetwegen zu erhitzen!«
»Erhitzen – ich?«
»Freilich – oder weshalb blickt Ihr so finster drein?«
»Finster – ich?« Ein Lachen, wie es geringschätziger nicht hätte sein können. »Ist es möglich, dass du es in puncto Keckheit ein wenig übertreibst? Antworte, Filzlaus, oder hat es dir etwa die Sprache verschlagen?«
Der Mund des Bettlers öffnete sich, klappte jedoch umgehend wieder zu. Mit dem, was nun gleich folgen würde, hatte er sich abgefunden und hielt schützend die Hände über den Kopf.
Sein Peiniger
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