Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pilger des Zorns

Pilger des Zorns

Titel: Pilger des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
Vom Netzwerk:
»Höchste Zeit, Bilanz zu ziehen. Etwas dagegen?«
    »Keineswegs.«
    »Gut zu wissen.«
    Man hätte die nun einkehrende Stille mit Händen greifen können. Isaak saß am Tisch, den Kopf auf die Hände gestützt, der Visitator neben der Tür. Der Koloss zwirbelte mit finsterer Miene an seinem Bart herum. Und Hlavá č ek hatte sich wieder zu seinem Schiffsjungen gesellt, der sich scheu und verlegen in der Ecke herumdrückte.
    »Ihr habt das Wort, Bruder.«
    »Verbindlichsten Dank, Herr Visitator«, erwiderte Bruder Hilpert, stützte den Ellbogen auf die rechte Hand und sagte: »Um Eure kostbare Zeit nicht unnütz zu vergeuden, fasse ich mich kurz. Frage: Trifft es zu, dass nahezu sämtliche Passagiere der ›Charon‹ als Mörder Eures Mitbruders Malachias infrage kommen?«
    Coelestinus nickte.
    »Umso mehr, als dass jeder einen vermeintlich triftigen Grund gehabt hätte?«
    »In der Tat.«
    »Trifft es weiterhin zu, dass es sich im Falle von Bruder Malachias – der heilige Bernhard möge sich seiner erbarmen! – um einen durch und durch sündhaften Menschen gehandelt hat?«
    »Das mit Sicherheit.«
    »Eine Kreatur, der im Grunde niemand eine Träne nachweint?«
    »Durchaus zutreffend.«
    »Stimmt Ihr mir darüber hinaus zu, dass die Tat, mit der wir konfrontiert worden sind, trotz allem gesühnt werden muss?«
    »Kommt drauf an, was Ihr unter Sühne versteht!«, polterte der Kapitän.
    »Ich kann mich nicht erinnern, Meister Hlavá č ek«, erwiderte Bruder Hilpert in schneidendem Ton, »Euch das Wort erteilt zu haben. Doch wenn Ihr Euch schon bemerkbar gemacht habt, gleich eine kurze Frage.«
    »Zur Hölle mit Euch, elender Papist.«
    »Nach Euch, mein lieber Hlavá č ek, nach Euch.« Bruder Hilpert machte eine einladende Handbewegung, straffte sich und ging langsam auf Hlavá č ek zu. »Doch nun zu meiner Frage, Bratr [23] Kapitän, mit der Bitte um eine ehrliche Antwort.«
    Der Kapitän murmelte etwas, das Bruder Hilpert geflissentlich überhörte, winkte ab und flüsterte dem Schiffsjungen etwas auf Tschechisch zu. Dann lehnte er sich an die Wand und spielte den Gelangweilten.
    Damit war er bei Bruder Hilpert jedoch an den Falschen geraten. »Könnt Ihr nicht antworten oder wollt Ihr nicht?«, herrschte er Hlavá č ek an. Und ging gleich noch einen Schritt weiter: »Für den Fall, dass Ihr Euch verstockt zeigt, sehe ich mich gezwungen, zu anderen Mitteln zu greifen.«
    »Und zu welchen, Speichellecker der Inquisition?«
    »Jetzt hört mir mal gut zu, mein Sohn –«, ärgerte sich Bruder Hilpert, nur noch einen Schritt von seinem Kontrahenten entfernt. »Wenn Ihr glaubt, Ihr habt es hier mit einem Dilettanten zu tun, irrt Ihr, und zwar gewaltig.«
    »Ich irre mich nie, Papist.«
    »Anscheinend doch.«
    Hlavá č ek lachte nervös. »Nichts für ungut, Bruder – es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen Ihr nicht die geringste Ahnung habt.«
    Ein Lächeln auf den Lippen, zögerte Bruder Hilpert seine Antwort absichtlich hinaus. Dann hob er den Blick, fixierte den Schiffsjungen, danach den Kapitän. Um mit tonloser Stimme hinzuzufügen: »Mit anderen Worten: Ihr nehmt mich nicht ernst.«
    Der Kapitän lächelte und warf dem Schiffsjungen einen vielsagenden Seitenblick zu.
    »Irgendwelche Einwände, wenn ich Euch eines Besseren belehre?«
    Der Kapitän deutete ein Gähnen an. »Nur zu.«
    »Eine Bitte: Könntet Ihr so gut sein und mir kurz zur Hand gehen?«
    »Wieso denn?«
    Bruder Hilpert lachte kurz auf. »Wieso, fragt Ihr? Nun – damit wir Euren Gefährten aus seinem Versteck hieven können.« Die Blicke Bruder Hilperts und des Schiffsjungen trafen sich. »Beziehungsweise Euren Vater, junger Mann.«

     
    H

     
    Normalerweise war Berengar ein Mann, dem das Herz auf der Zunge lag. Nach dem Geständnis, mit dem er konfrontiert worden war, hatte es ihm jedoch die Sprache verschlagen. Das ging so weit, dass er nicht einmal mehr fluchte. Bis das der Fall war, musste viel passieren.
    So wie gerade eben.
    In der Kajüte, welche an diejenige des Kapitäns grenzte, herrschte gespenstische Ruhe. Weder Berengar noch die Matrone ergriffen das Wort. Nach allem, was der Vogt in Erfahrung gebracht hatte, war das auch kein Wunder. Berengar konnte es einfach nicht fassen. In seiner Eigenschaft als gräflicher Ordnungshüter hatte er ja schon einiges erlebt. Mit dem, was ihm die Matrone anvertraut hatte, konnten seine Erlebnisse jedoch nicht konkurrieren.
    Bei Weitem nicht.
    So wahr er Berengar von Gamburg

Weitere Kostenlose Bücher