Pilger des Zorns
der Blick sämtlicher Anwesenden zur Tür. Weder der Kapitän noch der Schiffsjunge und schon gar nicht Isaak, der sich kaum auf den Beinen halten konnte, wussten, wie ihnen geschah. Und so drückte ihre Miene das Gleiche aus: Konfusion.
Am Ende war es der Bankier, der als Erster die Sprache wiederfand. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte er konsterniert, als der stattliche Dominikaner die Kajüte betrat. »Versteht Ihr das, Bruder?«
»Und ob er das tut, Meister Isaak!«, kam der Visitator Bruder Hilpert zuvor. »Oder kennt Ihr mich etwa nicht mehr?«
Als ahne er, dass die Worte nichts Gutes verhießen, nahm der Bankier am Tisch in der Mitte des Raumes Platz. Für den Bruchteil eines Augenblicks kehrte Ruhe ein, die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. »Zu meinem Bedauern – nein«, antwortete der Jude, während er die auf dem Tisch postierte Öllampe auf die Seite schob. »Da müsst Ihr mir schon auf die Sprünge helfen.«
Der Visitator hörte es mit Vergnügen, warf einen Blick in die Runde und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Mit Blick auf die Öllampe, die im Halbdunkel hin und her schwankte, hüllte er sich geraume Zeit in Schweigen. Dann aber, als er die Blicke der Anwesenden auf sich ruhen fühlte, setzte er zu einer Erwiderung an. »Nichts lieber als das«, erwiderte Coelestinus, während er sich mit demonstrativer Gelassenheit auf einen Stuhl stützte. »Wäre auch ein bisschen viel verlangt.«
»Was denn, Bruder …?«, setzte Isaak zu einer Erwiderung an, vollendete sie indes nicht. Irgendetwas an diesem Dominikaner machte ihn stutzig. Das Dumme war nur, dass er es nicht einordnen konnte.
»Coelestinus, Visitator der Heiligen Inquisition!«, entgegnete sein Kontrahent, einen Atemzug schneller als er. »Hocherfreut, Euch wiederzusehen.«
»Wiedersehen? Mich?«
»Ja, Euch!«, bekräftigte der Visitator, wobei sich sein Ton spürbar verschärfte. »Oder habt Ihr unsere Begegnung schon wieder vergessen?«
»Bedaure – ja.«
»Sic transit gloria mundi! [21] «, seufzte Coelestinus mit theatralischem Augenaufschlag. »Dabei hätte ich mein Habit verwettet, dass Ihr Euch meiner erinnern würdet. Zumal Ihr vor Dankbarkeit mir gegenüber fast aus dem Häuschen gewesen wart.«
Fassungslos vor Staunen, starrte Isaak sein Gegenüber wie ein Trugbild an. »Der Sackpfeifer!«, rief er aus, allerdings nicht frei von Furcht. »Wie in …«
»… Jahwes Namen so etwas sein kann, fragt Ihr Euch? Gute Frage. Und nicht leicht zu beantworten. Doch ich will ’ s versuchen.« Coelestinus nahm Platz, schlug die Beine übereinander und wippte mit dem Stuhl hin und her. »Um es kurz zu machen: Wenn ich durch die Lande reise, pflege ich dies in Verkleidung zu tun. Um, wie es so schön heißt, dem Volk aufs Maul zu schauen. Dies als Erklärung für den Aufzug, in dem es mir vergönnt war, unweit des Mainzer Tores zu Miltenberg Eure Pfade zu kreuzen, quasi nebenbei Euren lahmen Gaul zu kurieren und Euch ob Eurer höchst unglückseligen Liaison mit einer Maid aus christlichem Hause Mut zuzusprechen. Dies umso mehr, als Euch der Weltschmerz mit Macht zu übermannen drohte.« Coelestinus pausierte, breitete die Arme aus und sah sich Beifall heischend um. »Und was ist der Dank? Ihr erinnert Euch meiner nicht mehr.«
Im Verlauf der Tirade, mit der ihn der Visitator in die Enge getrieben hatte, war Isaak immer bleicher geworden, und als Coelestinus am Ende war, hatte es ihm die Sprache verschlagen. Die Ereignisse der letzten Monate, so vor allem die gestrigen, huschten in Windeseile an ihm vorbei, und als er sich zu rechtfertigen versuchte, kam kein Wort über seine Lippen.
Der Visitator nützte dies gnadenlos aus. »Warum ich Euch nicht denunziert habe, wollt Ihr wissen?«, hakte er nach. »Ganz einfach: Weil es in jenem Moment weit Wichtigeres zu tun gab als sich mit irdischem Ballast zu beschweren.« Coelestinus machte ein angewidertes Gesicht, wandte sich ab und knöpfte sich den Koloss zu seiner Linken vor. »So zum Beispiel mit einem gewissen Markward von Henneberg, auf dessen Burg ich einen Tag später zu nächtigen beliebte. Schade nur, dass mir dort keine Ruhe vergönnt war.«
»Zum Henker mit Euch!«, zischte der Komtur, den Bruder Hilpert nur mit Mühe davon abhalten konnte, handgreiflich zu werden. »Hab ich ’ s doch gewusst, dass irgendwas mit Euch nicht stimmt!«
»Euer Problem, wenn Ihr auf mich hereingefallen seid. Oder habt Ihr schon mal einen Troubadour gesehen, der den lieben
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