Pilger des Zorns
dem Tag unseres Gespräches, habe ich meinen Bruder nicht mehr zu Gesicht bekommen. Kurz darauf, als feststand, dass Caelinas Leib fruchtbar war, haben wir unsere Zelte in Würzburg abgebrochen und uns in die Obhut meines Schwagers in Ochsenfurt begeben.«
»Warum denn das?«
»Warum? Na, Ihr macht mir vielleicht Spaß.« Die Matrone schenkte sich nach und sah Berengar verbiestert an. »Ich glaube, Ihr könnt Euch das wirklich nicht vorstellen. Das Getuschel der Nachbarn. Das Getratsche hinter vorgehaltener Hand. Die scheelen Blicke. Diese ganze verdammte Sippschaft, die nur darauf wartet, einem eins reinzuwürgen.«
»Und der Prior – was hat der dazu gesagt?«
Die Matrone brach in schallendes Gelächter aus. »Gar nichts.«
»Wie bitte?«
Das Gelächter erstarb im Nu. »Die Mühe, ihn zu fragen, habe ich mir erspart. Hätte ja sowieso keinen Zweck gehabt.«
Berengar machte ein ernstes Gesicht. »Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, ich verstehe.«
»Spricht für Euch, Vogt.« Die Tuchhändlerwitwe leerte ihren Becher und knallte ihn auf den Tisch. »Könnt Ihr jetzt verstehen, warum ich diesen Schandfleck im Mönchsgewand so hasse? Beziehungsweise gehasst habe? Diesen …«
Ein leises Geräusch in ihrem Rücken schreckte die Matrone auf. Sofort war sie auf den Beinen, legte den Zeigefinger auf die Lippen und flüsterte: »Kein Wort mehr darüber! Sonst verliert das Kind noch vollends den Verstand.«
»Keine Einwände – es sei denn, Ihr habt mir etwas verschwiegen.«
Die Matrone erbleichte, ließ die Sache jedoch auf sich beruhen und wandte sich der Koje ihrer Tochter zu. »Was zum …«, zischte sie und bedachte Berengar mit einem bitterbösen Blick, »was im Namen der Heiligen Drei Könige zu Köln sollte ich Euch denn verschwiegen haben?«
Berengars Miene verhärtete sich. »Eine Frage, die nur ein einziger Mensch beantworten kann.«
»Und der wäre?«
»Ihr ganz allein.« Berengar erhob sich und deutete mit dem Kinn auf Caelinas Koje, aus der ein leises Wimmern kam. »Doch zuvor kümmert Euch besser um Eure Tochter.« Der Vogt zupfte eine Staubfaser von seinem Wams und fügte süffisant hinzu: »Sie hat Eure Hilfe nötiger als ich.«
H
»Und woher wollt Ihr das so genau wissen?«, keuchte Marek Husine č , an dem die Zeit, die er in seinem Versteck verbracht hatte, nicht spurlos vorübergegangen war.
»Das mit Euch, Hus, Eurem Sohn und Hlavá č ek?« Bruder Hilpert stützte sich auf die Rückenlehne des Stuhls, auf dem der völlig abgemagerte Theologe saß. Die Erschöpfung war dem 39-Jährigen ins Gesicht geschrieben. Die Furcht vor dem, was mit ihm, seinem Sohn Pavel und dem Kapitän geschehen würde, nicht minder. »Da müsst Ihr meinen Mitbruder vom Orden des heiligen Dominikus fragen.«
»Der uns bestens bekannt ist«, ergänzte der Kapitän in verächtlichem Ton.
»Ruhig Blut, Jan«, sagte Husine č auf Tschechisch, nahm seinem Sohn einen Wasserschlauch aus der Hand und trank in gierigen Schlucken. Dann wischte er den Mund trocken und ergänzte: »Coelestinus hat nur seine Pflicht getan.«
Hlavá č ek schüttelte fassungslos den Kopf. »Und das ausgerechnet von dir«, machte er aus seiner Missbilligung keinen Hehl, jetzt ebenfalls auf Tschechisch. »Mir scheint, die Zeit auf Burg Rothenfels hat deinen Blick für die Wirklichkeit getrübt. Sonst würdest du dich an die Rolle, die der Pfaffe da drüben gespielt hat, bestimmt erinnern. Oder muss ich dir bezüglich seiner Verhörmethoden auf die Sprünge helfen?«
»Keineswegs.« Husine č nahm einen weiteren Schluck. »Wobei er sich im Gegensatz zu einem gewissen Malachias ausgesprochen human verhalten hat. Das solltest du nicht vergessen, Jan. Bei allem Unheil, das diese Papisten über uns gebracht haben.«
»Apropos ›Papisten‹ –«, mischte sich Bruder Hilpert zur Überraschung der beiden ein. »Entdeckt worden ist Euer Versteck letztendlich von jemand anderem. Bevor er hinterrücks niedergeknüppelt worden ist.«
»Hört, hört – der große Unbekannte!«, goss der Kapitän, der wieder Deutsch sprach, seine Häme aus. Doch er hatte seine Rechnung ohne Bruder Hilpert gemacht.
»Wenn jemand ein Motiv hatte, meinen Freund Berengar unschädlich zu machen, dann doch wohl Ihr«, erwiderte er seelenruhig und fuhr auf Hlavá č eks verdutzten Blick hin fort: »Meine Schuld, wenn Ihr nicht imstande seid, Eure Passagiere zu durchschauen? Wenn dem so wäre, hättet Ihr die Anwesenheit eines gräflichen Vogtes
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