Pilger des Zorns
»Mit dem Mord am Badstuber habe ich nichts zu tun. Aber auch rein gar nichts.«
»Und wo habt Ihr die ganze Zeit über gesteckt?«
»Mittschiffs. Unter der Persenning. Dort, wo die Tuchballen aufgestapelt sind.«
»Und warum gerade dort?«
»Um ein Nickerchen zu halten, herrje! Ist das denn so schwer zu verstehen?«
»Unter normalen Umständen nicht.« Bruder Hilpert fuhr mit Daumen und Zeigefinger am Kinn entlang. »Dann eben das Ganze noch einmal von vorn!«, seufzte er. »Ist Euch vor, während und nach Eurer Wache etwas Besonderes aufgefallen?«
»Nein, zum Teufel.«
»Den Leibhaftigen lasst freundlicherweise aus dem Spiel. Und wie lange hat sie gedauert?«
»Meine Wache? Bis circa eine Stunde vor Mitternacht.«
»Präzise ausgedrückt: Zuerst war der Kesselflicker an der Reihe, dann Ihr, der Sackpfeifer und zu guter Letzt Malachias. Letzterer von Mitternacht bis ein Uhr.«
»Mein Kompliment für Eure rasche Auffassungsgabe.«
Wenn er darauf spekuliert hatte, seinen Widersacher aus dem Konzept zu bringen, sah sich der Komtur getäuscht. Bruder Hilpert ließ die Provokation einfach über sich ergehen und setzte seine Befragung unbeirrt fort. »Und der Schiffsjunge respektive der Kapitän?«
»Die waren von eins bis zum Morgengrauen dran«, antwortete der Koloss und lugte über die Schulter. Die Arme vor der Brust verschränkt, sah der Kapitän jedoch demonstrativ weg.
Bruder Hilpert schloss die Augen und massierte die zerfurchte Stirn. Die Ereignisse begannen ihren Tribut zu fordern, ob er es wahrhaben wollte oder nicht. »Eine Frage noch«, bemerkte er, auffallend in sich gekehrt.
»Hoffentlich die letzte.«
Bruder Hilpert blickte kurz auf, nahm den Koloss ins Visier und verfiel erneut in tiefes Brüten. »Kommt auf Euch an!«, antwortete er so leise, dass es der Komtur kaum verstand.
»Soll das etwa eine Drohung sein?«, knurrte der Koloss und baute sich zu voller Größe auf.
Bruder Hilpert ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Zu dem Zeitpunkt, als die Wache des Kesselflickers zu Ende war – und die Eure somit begann –, ist Euch da irgendetwas Besonderes aufgefallen?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Kompliment für Euer Erinnerungsvermögen. Apropos: Wart Ihr außer dem Kesselflicker der Einzige an Deck?«
»Soweit ich mich entsinnen kann … ja, glaube schon.«
»Letzte Frage: Wie genau ist der Wachwechsel vonstattengegangen?«
Der Koloss machte ein angriffslustiges Gesicht. »Wie so etwas gewöhnlich vonstattenzugehen pflegt!«, giftete er Bruder Hilpert an.
»Aufmunternde Worte, ein Klaps oder gar Scherz?«
»So etwas in der Art.«
»Und dann?«
»Was heißt da überhaupt ›Und dann‹?«, kochte die schwarze Galle in Markward von Henneberg empor. »Was zum Teu…«
Weiter kam der Komtur nicht. Instinktlos, wie er war, hatte er die Gefährlichkeit seines Gesprächspartners nicht im Entferntesten erkannt. Und in ihm folglich seinen Meister gefunden. »Wie gesagt, Herr von Henneberg –«, fuhr ihm Bruder Hilpert in die Parade, »den Leibhaftigen lassen wir doch lieber aus dem Spiel. Und nun zu meiner Frage: Ist Euch zwei Stunden vor Mitternacht, zu dem Zeitpunkt, als Ihr Euch auf Wache begeben habt, irgendetwas Erwähnenswertes aufgefallen? Raus mit der Sprache – bevor mir der Geduldsfaden reißt!«
Der Koloss mit dem Vollbart, der durchaus als Hufschmied hätte durchgehen können, bekam vor Verblüffung den Mund nicht mehr zu. »Woher …«, stammelte er bestürzt, »woher wisst Ihr meinen …«
»Tut nichts zur Sache!«, wehrte Bruder Hilpert kategorisch ab. »Zu meinem Bedauern habt Ihr Eure Chance nicht genutzt. Weshalb ich mich gezwungen sehe, andere Saiten aufzuziehen. Darum nochmals: Was war vor beziehungsweise während des Wachwechsels los?«
»Gar nichts«, jammerte der Koloss. »Der Kesselflicker hat gesagt, er wolle sich noch ein wenig die Beine vertreten. Und dann hat er die Fliege gemacht. Richtung Laderaum. Weiß der Teu… äh … keine Ahnung, was der verlauste Rumtreiber da drunten getrieben hat.«
»Auf die Idee, kurz nachzuschauen, seid ihr nicht gekommen?«
»Wieso sollte ich? Wird schon ihre Gründe gehabt haben, die Wanderratte.«
»Euer Hang zu bildhaften Vergleichen in allen Ehren – Ihr erwartet doch nicht, dass ich Euch das abkaufe?«
»Dann eben nicht«, grunzte der Komtur gereizt. »Auf einen ungläubigen Pfaffen mehr oder weniger kommt es weiß Gott nicht an.«
»Doch, hochwohlgeborener Herr Komtur.«
Wie auf Kommando fuhr
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