Pilgern auf Französisch
schwärzlichem Wasser, gegen das er ankämpft wie eine Heuschrecke, doch schließlich geht er unter und ertrinkt ...
Pierre träumt, er sitzt in seinem Wohnzimmer, das keine Wände mehr hat. Die Möbel, die Nippsachen und die Lampen stehen und liegen mitten auf einer großen Wiese. Ihm gegenüber sitzt seine Frau in einem Louis-Quinze-Sessel und trinkt eine blutrote Flüssigkeit aus einem Glas. Es ist ein Zauberglas, das sich immer wieder von selbst füllt, sobald sie es geleert hat. Édiths Sessel steht in einem Kubus aus vier Glaswänden, die so hoch sind, dass sie bis in den Himmel reichen. In dem Kasten steigt das Wasser, es reicht Édith schon bis zu den Knien, bis zum Hals, es überflutet ihr Gesicht und steigt immer höher. Pierre tritt näher und klopft an die Glaswände. Seine Frau sieht ihn nicht, unter Wasser trinkt sie lächelnd weiter. Dann schwimmt der Sessel, er wird vom Wasser angehoben, steigt in die Höhe und verschwindet, er trägt Édith weg, bis sie nur noch ein kleiner Punkt in den Wolken ist...
Mathilde träumt, sie steht mitten auf einem Feld und trägt ihr Kopftuch. Claude kommt auf sie zu, in der Hand hält er den Schlauch eines großen Staubsaugers, der wie eine Glocke aussieht. Er hält die Glocke über Mathildes Kopf, das Kopftuch wird von der starken Düse weggesaugt, die Haare reißen aus. Mathilde ist kahl. Hinter ihr tauchen zwei Reihen eiserner Krankenhausbetten mit weißen Laken auf, die sich bis in die Unendlichkeit ziehen. In jedem Bett liegt eine kahle Frau oder ein kahler Mann in einem weißen Schlafanzug und mit bleichem Gesicht und starrt sie an...
Am nächsten Tag wird die Landschaft karger. Mathilde und Guy gehen an der Spitze der Gruppe.
»Haben Sie letztes Jahr nicht eine Wanderreise nach Belle-Île gemacht, mit Fred als Coach?«, fragt Guy.
»Nein, mit Fred war ich vor zwei Jahren an der Ardèche.«
»Ach ja! Er hat mir von einer ungemein netten Mathilde erzählt, das waren also Sie?«
»Ja. Die Wanderung hat mir sehr gefallen.«
»Fred ist ein guter Freund und ein super Coach.«
»Ja, er ist super, und er sieht auch super aus.«
Guy weiß nicht, warum, aber diese Aussage nervt ihn. Trocken versetzt er: »Supergut.«
Mathilde denkt an das kurze, unkomplizierte Abenteuer mit Fred, eine zärtliche, schöne Bettgeschichte ohne gegenseitige Ansprüche auf emotionale Zuwendung, Lust pur.
Das war vor ihrer Krebserkrankung.
Guy denkt daran, was Fred ihm erzählt hat: eine »superschöne« Frau, zwei wunderbare Nächte ohne irgendwelche Probleme, toller, unbeschwerter Sex, Lust pur.
Guy sagt sich, dass er das nicht kann: tollen, unbeschwerten Sex. In erster Linie, weil er schwarz ist; das macht die Dinge nicht gerade einfacher, außerdem hat er kein Selbstvertrauen. Und dann hat er noch eine große Schwäche: Er verliebt sich. Wenn ihm eine Frau gefällt, will er sie lieben, für lange Zeit — mit einer Eintagsfliege kann er nicht schlafen, das widert ihn an. Und das macht die Sache wirklich kompliziert. Wenn er doch nur so sein könnte wie seine Kumpel, wenn er doch einfach nur rammeln könnte wie ein Karnickel und sich um nichts weiter scheren würde. Wie schön könnte er es dann haben...
Die Pilger sind nun schon seit Tagen unterwegs, sie wandern über die Hochebene des Aubrac: menschenleeres grünes Land, gesprenkelt mit grauen Felsen, durchzogen von Mauern und Zäunen, die die Herden auf den Sommerweiden halten, die berühmten weizenhellen Tiere mit den kohlschwarzen Augen, die Aubracrinder, die dort im saftigen Gras weiden. Einst sagten alle, die im Tiefland bleiben mussten und den Sommer nicht mit den Tieren in den Bergen verbringen konnten, voller Wehmut: »Das da oben ist ein Blumenmeer.«
Und so ist es. Überall Blumen.
Guy und Mathilde sehen die Blumen auch. Weiß, violett, gelb — grelle Farben wie auf einer Postkarte. Nach sieben Monaten, erdrückt unter Schnee, stehen sie nun in voller Blüte.
Said sieht nichts, er versucht, seine Gewissensbisse zu lindern. Camille hat ihn ganz schön genervt, als sie ihn des Betrugs bezichtigte. Vor allem weil es die Wahrheit ist. Und die Wahrheit nervt eben ganz schön. Dennoch ist es nicht die ganze Wahrheit. Aber Camille die ganze Wahrheit gestehen — das kann er nicht. Er kann ihr doch nicht einfach ins Gesicht sagen, dass er sie liebt, dass er ihretwegen zu allen Schandtaten bereit ist, dass er für sie aus lauter Liebe stürbe.
Betrüger — dieses Wort klebt an der Haut der Araber. Zum Kotzen. Mir
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