Pilgerspuren: Palzkis siebter Fall (German Edition)
verdächtig ihre Köpfe einzogen, als ich mit dem ›Pilger‹-Chef vorbeiging. War
er so ein Tyrann? Waren es Mitarbeiter, die gestern ihren Chef im Dom beseitigen
wollten? Insiderwissen dürfte auf jeden Fall vorhanden sein.
Fratelli
bog in einen größeren Aufenthaltsraum ein.
»Wir haben
den Fehler gefunden«, meinte jemand in einem Kundendienstoutfit. »Die Brühgruppe
war verstopft. Dabei ist die noch gar nicht so alt. Trinken Sie viel Kaffee?«
»Viel Kaffee?«
Fratelli schrie fast, dennoch schien er erleichtert. »Bevor ich morgens nicht meine
fünf Tassen Pilger-Kaffee getrunken habe, darf mich niemand ansprechen. Ich muss
hier jeden Tag höchste Kreativleistung vollbringen, das geht nur mit einer anständigen
Dosis Koffein. Und meine Mitarbeiter trinken natürlich auch ganz schön was weg.
Kaffee ist neben den Gehältern und Sozialausgaben unser größter Ausgabenblock. Noch
vor den Druckkosten.«
Der Kundendienstler
nickte. »Die Maschine ist für solch einen Durchlauf nicht ausgelegt. Irgendwann
fällt die Ihnen komplett auseinander. Für Großmengen sollten Sie auf ein Gastronomiegerät
umsteigen.« Er packte seine Tasche und verabschiedete sich.
»Möchten
Sie auch eine Tasse?«, fragte mich Fratelli.
Ich nickte.
»Sind Sie
eigentlich mit Steinbeißer oder Wagner verwandt?«, fragte ich, weil meine Kollegen
einen ähnlich hohen Kaffeeverbrauch hatten. Just im gleichen Moment verschluckte
ich mich an dem äußerst starken und brennendheißen Kaffee.
Der Geschäftsführer
schaute irritiert und schüttelte den Kopf. »Behauptet das jemand?«
Ich winkte
ab. »Nein, ist auch nicht wichtig.«
Fratelli
stürzte in einem wahnsinnigen Tempo zwei Tassen Kaffee hinunter, und im gleichen
Zeitraum nahm seine Nervosität ab. Er wirkte nun viel ausgeglichener. Eine jüngere
Frau mit leuchtend braunen Augen und ebensolchen Haaren kam mit einem angebissenen
Nutellabrot in den Aufenthaltsraum. Sie zuckte stumm in Richtung des Geschäftsführers
mit dem Kopf nach oben, was nicht nur in der Pfalz ›Und, was gibt’s?‹ bedeutete.
Fratelli zeigte ihr seine rechte Hand, an der alle fünf Finger ausgestreckt waren.
Aha, ein Geheimcode.
Fratelli
bemerkte, dass ich mir über diese, für einen Außenstehenden seltsam wirkende, Geste
Gedanken machte.
»Herr Palzki,
keine Angst, wir sind kein Geheimbund. Meine Assistentin Nina Mönch, hat sich nur
vergewissert, ob ich endlich meine fünf Tassen Kaffee getrunken habe. Drei, bevor
die Maschine kaputtging und zwei gerade eben.«
Frau Mönch
gab mir die Hand und lachte. »Es freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Palzki. Herr
Nönn hat mir vorhin von der blöden Geschichte im Dom erzählt.«
Sie deutete
auf Fratelli. »Mit unserem Chef ist das so eine Sache. Bevor er nicht seinen Mindestkoffeinspiegel
erreicht hat, sollte man ihn besser nicht ansprechen. Vorher ist er der unmöglichste
Chef auf Erden, danach, von ein paar Macken abgesehen, der umgänglichste. Mich hat
es da besonders schlimm erwischt. Als seine Assistentin und Marketingleiterin bin
ich seinen Launen tagtäglich ausgesetzt.«
Sie rollte
mit den Augen und lachte. Die Ironie in ihren Sätzen war deutlich zu spüren.
»Die Kaffeemaschine
ist nun mal das wichtigste Gerät bei uns im Verlag«, setzte Fratelli noch eins drauf,
und es klang, als meinte er es ernst.
»Kommen
Sie, gehen wir in mein Büro.« Zu Frau Mönch sagte er: »Holen Sie bitte Herrn Nönn,
und kommen Sie nach.«
Fratellis
Büro war ein kreatives Chaos. Sein halber Schreibtisch, der recht groß, aber natürlich
nicht mit KPDs Dimensionen vergleichbar war, war mit Computer und jeder Menge anderen
technischen Gerätschaften vollgeräumt, von denen ich gerade noch einen Drucker erkennen
konnte, der allerdings zur Hälfte mit einem Tuch bedeckt war. Die Rückseite seines
Schreibtisches, dort, wo mehrere Besucherstühle standen, war mit einem extremen
Kabelwirrwarr behangen.
»Ich bin
noch nicht zum Aufräumen gekommen«, entschuldigte er sich und bot mir Platz an.
»Möchten Sie noch einen Kaffee?«
Ich verneinte.
Nach einer zweiten Tasse würde ich wahrscheinlich unter der Decke schweben.
»Sie haben
Computer?«, fragte ich verdutzt.
»Wir sind
ein Verlag, Herr Palzki. Haben Sie bei der Polizei keine?«
Er blickte
auf sein technisches Inventar und entdeckte das Tuch auf dem Drucker. Fast liebevoll
strich er es glatt und bedeckte den Drucker komplett. Er vergewisserte sich, dass
das Tuch auf allen Seiten in etwa gleich lang überhing.
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