Pilgerspuren: Palzkis siebter Fall (German Edition)
Wenn es ein Junge werden würde, hätte sie diese Feststellung
erst gar nicht treffen müssen. Oder hatte sie es getan, um mich damit zu ärgern?
Oder wusste sie es selbst nicht? Vielleicht wurden es sogar Zwillinge, denn ihr
Bauch war dieses Mal recht groß. Ich zügelte meine Neugier und sagte, dass ich mit
Paul bestimmt klarkommen würde.
Melanie
kam aus der Küche ins Wohnzimmer gestürzt.
»Mensch,
Papa, draußen sitzt vielleicht ein geiler Typ, ich habe ihn durchs Küchenfenster
gesehen. Darf ich vor dem Essen noch ein bisschen raus?«
»Nein!«,
schrie ich und Stefanie schaute mich verwundert an.
»Warum soll
unsere Tochter nicht noch ein bisschen raus gehen dürfen, Reiner? Es ist noch früh,
und außerdem leben wir nicht in einem Kloster.«
»Geh ans
Küchenfenster und schau raus.«
Meine Frau
legte ihr Magazin auf den Tisch und ging neugierig in die Küche. Zwei Sekunden später
kam sie genauso schnell wie vorhin unsere Tochter wieder herausgestürzt.
»Melanie!
Du gehst auf gar keinen Fall nach draußen! Es ist schon viel zu spät, außerdem gibt
es gleich Essen.«
Während
Melanie beleidigt in ihr Zimmer ging, fragte mich Stefanie: »Hat der vorhin schon
dort gesessen? Hast du wenigstens deine Kollegen von der Schutzpolizei angerufen?
Der hat doch bestimmt irgendwas ausgefressen.«
»Ach was«,
entgegnete ich. »Der sieht nur etwas merkwürdig aus. Was soll jemand schon ausgefressen
haben, wenn er Gottfried heißt.«
»Gottfried?
Du kennst sogar seinen Namen? Wo kommt der her, wo will er hin?«
Sie setzte
sich neben mich auf die Couch.
»Du musst
jetzt ganz tapfer sein, Stefanie. Dieser Gottfried mit seinem, na, sagen wir es
mal, zerrütteten Aussehen ist der verlorene Sohn der Ackermanns. Ja, du hast richtig
gehört.«
Meine Frau
starrte mich mit großen Augen an. Hoffentlich löste mein Kommentar keine Wehen aus.
Mit hungrigem Magen hatte ich keine Lust, die Nacht in der Klinik verbringen zu
müssen.
»Ist das
wahr?« Stefanie schüttelte den Kopf. »Ich hatte bisher vermutet, dass unsere Nachbarin
überhaupt nicht aufgeklärt sei. Das muss ein Fall für das Jugendamt gewesen sein.«
Ich versuchte,
sie zu beruhigen. »Morgen lass ich das mal durch den Computer laufen. Natürlich
könnte ich auch Frau Ackermann fragen, aber das würde viel, viel länger dauern.«
Ich rollte wissend mit den Augen.
Meine Frau
war noch nicht beruhigt. »Was will der Kerl? Warum sitzt er vor dem Haus?«
»Weil Ackermanns
ausgeflogen sind. Vielleicht sind sie einkaufen. Ist es dir lieber, wenn ich ihn
mit reingebracht hätte?«
»Um Gottes
willen! Mir hat es gereicht, wie Melanie den Dr. Metzger angehimmelt hat. Ich glaube,
ich muss mal ein ernstes Wort mit unserer Tochter reden.«
Sie lächelte
listig. »Obwohl, wenn ich bedenke, was für einen Kerl ich damals mit heimgeschleppt
habe …« Ihre Augen blitzten schelmisch, und sie gab mir einen Kuss.
Der Rest
des Abends verlief mehr oder weniger harmonisch. Das mit Sicherheit äußerst gesunde
Abendessen wurde vom Rest der Familie zwar nicht gerade gelobt, aber ohne größeres
Murren vertilgt.
Zum Abschluss
des Tages durfte sich meine Frau über eine längere Massage freuen, und wir staunten,
zu welchen bauchwandübergreifenden Bewegungen unser Fastneugeborenes schon fähig
war.
7
Maschendrahtzaun
Während der Massage hatte ich meiner
Frau die beiden Abendtermine gebeichtet. Sie war wenig bis überhaupt nicht begeistert,
doch ich hatte ihr hoch und heilig versprochen, mein stets komplett aufgeladenes
Handy jederzeit eingeschaltet zu haben, mit mir herumzutragen und beim Einsetzen
der telefonisch mitgeteilten Wehen sofort nach Hause zu kommen. Egal, ob ich gerade
eine Horde Verbrecher verfolgte oder nicht.
Mit diesem
Versprechen verließ ich am nächsten Morgen die Wohnung. Kein Punker und keine Nachbarin
hinderten mich daran, in meinen Wagen zu steigen und nach Speyer zu fahren. Die
Dienststelle umfuhr ich weiträumig, um keinen Diefenbach-Kontakt zustandekommen
zu lassen. Ich hoffte, dass der heutige Ermittlungstag einigermaßen in geordneten
Bahnen verlief und ich keine skurrilen Dinge zu erleben hatte. Es würde auch so
schwierig genug werden, die Anschläge aufzuklären und vor allem dafür zu sorgen,
dass es keine weiteren gab.
Meine Hoffnung
war vergebens. Als ich in den Schulhof fuhr, sah ich die erste Verrücktheit. Fratelli
stand auf einer Anstellleiter vor dem einstöckigen Bürogebäude und versuchte, mit
vier oder fünf weiteren Helfern
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