Pilgerspuren: Palzkis siebter Fall (German Edition)
frei bleibt.«
Ich muss
zugeben, dass ich mich mit dieser Erklärung sehr schwer tat. Vorsichtig hakte ich
nach: »Ich weiß zwar nicht, was eine freie Sicht zur Straße mit den Büschen und
Bäumen auf dem Grundstück Ihres Nachbarn zu tun hat, ich sehe aber, dass Ihr Grundstück
ebenfalls bewachsen ist.«
Harsch unterbrach
sie mich. »Das ist ganz was anderes, Herr Inspek äh, Herr Polizist. Unsere Flora
schneidet mein Männel immer rechtzeitig zurück, damit die Kameras freie Sicht haben.
Aber was nützt das, wenn die Nachbarn nicht mitspielen oder fremde Leute ihren Wagen
vor unserem Haus auf die Straße stellen?«
»Sie haben
Kameras auf Ihrem Grundstück?« Mit dieser Lösung hatte ich nicht gerechnet. »Warum
das denn? Wenn Sie Wertsachen haben, sollten Sie die besser in ein Bankschließfach
geben.«
»Papperlapapp«,
schnitt sie mir erneut das Wort ab. »Meine Medaillen und Pokale stecke ich in kein
Schließfach. Die wollen jeden Tag bewundert werden, stimmt’s, mein Männel?« Marcel
nickte demütig und traute sich daraufhin, erneut einen kleinen Redebeitrag zu leisten.
»Meine Liebste
war im Ringen mehrfach Deutsche Meisterin und sogar Vize-Europameisterin im Freistil.
Fast das ganze obere Stockwerk ist mit ihren wertvollen Ehrenzeichen angefüllt.«
»Halt’s
Maul, Männel! Feind hört mit.«
Das, was
ich da hörte, übertraf meine Erwartungen eines bizarren Nachbarschaftsstreits um
ein Vielfaches. Ich wusste nicht, wen ich mehr bedauern sollte: Nönn oder das Männel
Marcel.
»Noch mal
langsam zum Mitschreiben: Sie verwahren in Ihrem Haus Ihre Auszeichnungen. Zum Schutz
gegen Diebstahl haben Sie rings um das Haus Kameras installiert, ist das so richtig?
Um einen guten Überblick zu haben, fordern Sie von Ihrem Nachbarn, die Büsche zu
schneiden. Außerdem verjagen Sie Autofahrer, die draußen auf der Straße parken.«
Sie brachte
das erste Lächeln zustande. »Siehste, Männel, jetzt hat es der Herr Polizist auch
kapiert. Warum hast du es ihm nicht gleich so gesagt?«
Ich kritzelte
ein paar sinnlose Zeichen auf meinen Block, nur damit es so aussah, als würde ich
etwas schreiben.
»Sehr geehrte
Frau Lipkowitzki«, sagte ich schließlich. »So geht das nicht. Unser BGB gilt bereits
seit 1900, und da drinnen gibt es keine einzige Passage, die das Faustrecht legitimiert.
Sie dürfen keine Kameras installieren, die aufs Nachbargrundstück gerichtet sind
und bis auf die öffentliche Straße schon gar nicht. Für solche Sachen gibt’s meine
Kollegen von der Schutzpolizei, dein Freund und Helfer, wenn Sie wissen, was ich
meine.«
Ein schallendes
Lachen in Turbinenstärke wehte meine Haare nach hinten. Zumindest hatte ich diesen
Eindruck. Meine Ohren schmerzten.
»Das war
der Witz des Tages! Ich will Ihnen mal was sagen, Herr Polizist. Ich weiß zwar nicht,
wo Sie herkommen, aus Hockenheim aber anscheinend nicht. Die Bullen hier kümmern
sich einen Scheißdreck um uns Anwohner. Im letzten Jahr wurde in unserem Wohngebiet
ein Dutzend Mal eingebrochen. Was macht die Polizei? Die nimmt den Schaden für die
Versicherung auf und damit basta. Meine Wertsachen lassen sich nicht versichern,
es sind persönliche Erinnerungsstücke für mich und mein Männel. Da es der Polizei
nicht gelingt, diese Bande zu schnappen, muss sich der mutige Bürger selbst helfen,
notfalls mit Kameras und Waffengewalt.«
»Waffengewalt?
Haben Sie auch Waffen im Haus?«
»Aber sicher,
Herr Polizist. Einbrecher lassen sich mit Kameras zwar entdecken, aber nicht verjagen.«
Ich wollte
auf das Thema Waffenschein zu sprechen kommen, als Nönn und Wolf auf uns zukamen
und mich von der Sache ablenkten.
Die Meisterin
fast aller Klassen bauschte ihren Körper weiter auf, was aufgrund der bereits vorhandenen
Fülle eigentlich nicht notwendig gewesen wäre. Niemand würde es wagen, sich mit
ihr anzulegen.
»Da kommt
er ja, der Gauner«, blökte sie und spuckte zum wiederholten Mal auf den Gehweg.
»Können Sie ihn nicht gleich mitnehmen?«
»Hallo,
Herr Nönn«, begrüßte ich den Chefredakteur.
»Guten Morgen,
Herr Palzki«, antwortete dieser. »Ich sehe, Sie haben sich bereits mit meinen Nachbarn
bekannt gemacht.«
»Was?« Die
Catcherin fühlte sich nicht mehr Herrin der Lage. »Sie kennen sich? Wollen Sie gegen
mich intrigieren? Männel, mach doch was!«
Sie schob
ihren Marcel an den Schultern nach vorne.
Ȁh, also,
ich soll sagen, dass –«
»- dass
er seine Büsche absägen soll. Mein Gott, Männel, ist das denn so
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