Pilgerspuren: Palzkis siebter Fall (German Edition)
genannt wird. In dieser
Nebenstraße war ich noch nie. Das Café machte von außen einen gepflegten Eindruck.
Neben dem Eingang hing die mittlerweile obligatorische und gemischtsprachliche Ankündigung
›Kaffee to go‹, die mit dem Zusatz ›Neu: Jetzt auch zum Mitnehmen‹ ergänzt war.
Für die
Mittagszeit war erstaunlich wenig los. Während ich die Karte studierte, überprüfte
Wolf seine Handys und checkte auf seinem Notebook mindestens 148 E-Mails. Vielleicht
konnte er damit die Welt retten. Ich prüfte ebenfalls mein Handy und stellte erleichtert
fest, dass Stefanie sich bisher nicht gemeldet hatte. Bei günstiger Gelegenheit
würde ich später mal anrufen.
Da es in
dem Café auch kleine warme Speisen gab, bestellte ich reichlich.
»Sind Sie
öfter in Speyer?«, begann Joachim Wolf den unvermeidlichen Smalltalk.
»Nicht sehr
häufig. Ich kenne auch nur ganz wenige Kneipen. Wenn man verheiratet ist, lässt
das alles ein bisschen nach. Früher, ja, da war das was anderes. Da gab es ein paar
wirklich urige Kneipen in Speyer.«
»Sie meinen
nicht zufällig Fräulein Liesel?«
Ups, was
musste ich da hören? In der Tat war mir dieser Name geläufig, auch wenn ich ihn
nach 25 Jahren das erste Mal wieder hörte.
»Wie kommen
Sie da drauf, Herr Wolf? An Fräulein Liesel kann ich mich nur zu gut erinnern, ihre
Kneipe war doch in der Nähe des Bahnhofs oder? Hm, der Name fällt mir leider nicht
mehr ein.«
»Haus Weidenberg«,
klärte er mich auf. »Fräulein Liesel Jester, so ihr kompletter Name, feierte übrigens
im letzten Jahr ihren 85. Geburtstag.«
»Wahnsinn«,
sagte ich. »Das war eine Kneipe. Die Wände vollgehängt mit alten Bildern und Zeitungsartikeln,
dazu das Fräulein Liesel, die immer im Dirndl herumlief.«
»Und am
Ende die Rechnung mit Kreide in Pfennigen auf ein Tablett schrieb.«
Mir fielen
weitere Dinge ein. »Dann hatte sie in der Ecke ein schräg klingendes Orchestrion,
das sie zu später Stunde den Gästen immer tischweise vorführte.«
Ich lachte
über eine weitere Erinnerung. »Und manchmal war der arme Schorsch in der Kneipe.
Der muss ein Bäcker gewesen sein und war mit dem Fräulein Liesel befreundet. Dafür
durfte er dann vor den Gästen seine Arien singen. Schräger ging’s nicht, Herr Wolf.
Einmal hat sie uns nach einer Gesangsvorstellung rausgeworfen, weil zwei von uns
sich das Lachen nicht verkneifen konnten.«
Wir sahen
uns eine Weile stumm an und schwelgten, jeder für sich, in Erinnerungen.
»Die Kneipe
gibt’s noch, Herr Palzki. Fast im Originalzustand.«
Ich bekam
große Augen. »Ne, das kann nicht sein. Stimmt das wirklich? Da muss ich hin.«
»Ganz so
einfach ist das nicht. Sie müssen schon nach Bruchsal fahren. Fräulein Liesel hat
ihr Orchestrion und das Kneipeninventar einem Museum hinterlassen. Im Bruchsaler
Schloss hat man das Innere des Hauses Weidenberg rekonstruiert.«
Es tat gut,
mit jemandem über alte Zeiten plaudern zu können. Wolfs und meine Vergangenheit
hatten einige Parallelen, wie wir im Laufe unserer Unterhaltung entdeckten. Spontan
lud ich ihn zu mir nach Hause ein, sobald sich unser Familienzuwachs ein paar Tage
eingelebt hatte. Bestimmt würden wir noch einige Gemeinsamkeiten bei ein oder zwei
Pilsner entdecken können. Inzwischen hatte ich mich ganz gut an ihn gewöhnt, auch
wenn ich mindestens genauso gerne mit Gerhard oder Jutta unterwegs war. Ich musste
nur darauf achten, dass Wolf sich beim Detektivspielen nicht ernsthaft in Gefahr
brachte.
Ein Blick
auf seine Uhr brachte das Ende der Idylle.
»Ich glaube,
wir sollten langsam aufbrechen. Sie wollen sich schließlich ein wenig im Ordinariat
umsehen und erste Verdächtige ausmachen.« Sein permanentes Grinsen wuchs um mehrere
Lachfalten.
»In den
Dom will ich auch noch mal. Insbesondere auf die Empore mit der Orgel.«
Wolf lehnte
meinen Vorschlag, auf dem ehemaligen Schulhof des Verlags zu parken, ab.
»Wozu das
denn? Hinter dem Ordinariat haben wir eigene. Es reicht mir völlig, wenn ich Fratelli
und Nönn heute Abend sehen muss.«
In einer
ruhigen Minute musste ich den Kanzleidirektor unbedingt fragen, welche Probleme
er mit dem Verlag hatte. Dass sich die beiden Parteien nicht gerade wie Freunde
benahmen, hatte ich bereits mehrfach erlebt.
Er fuhr
die Auestraße bis zum Rhein und bog am Technik Museum in Richtung Dom ab, dann nach
links zur Herdstraße.
»Wir müssen
einen ziemlichen Umweg fahren, um hinter das Gebäude auf den Mitarbeiterparkplatz
zu kommen. Bis jetzt hat
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