Pilgerspuren: Palzkis siebter Fall (German Edition)
ja sogar meine Seele,
Kraft schöpfte, und die Sinne sich wohltuend auf Hören und Sehen konzentrierten.
Die Explosion
war grauenhaft. Meine Trommelfelle schmerzten, meine Augen brannten aufgrund der
enormen Rauchentwicklung. Ein Tumult brach los: Stühle fielen um, Leute stürmten
nach draußen und schrien sich die Seele aus dem Leib. Wolf war ebenfalls aufgesprungen
und rannte nach vorne zur Bühne. Becker und sein Freund Felix saßen wie erstarrt.
Ich versuchte, Wolf nachzueilen. Da das gedimmte Saallicht offensichtlich keinen
Schaden davongetragen hatte, war der Raum wie in einen gespenstischen Oktobernebel
getaucht. Ich vernahm lautes Husten. Verdammt, Rauchgase.
»Fenster
auf!«, schrie ich, so laut ich konnte. »Und so schnell wie möglich raus!«
Als Krisenmanager
hatte ich so meine Erfahrungen, schließlich hieß mein Chef Diefenbach. Die beiden
Studenten erwachten aus ihrer Lethargie und halfen mir, die wenigen, aber dafür
riesigen, Fenster zu öffnen. Da mir schwindlig wurde, wusste ich, dass das Kohlenstoffdioxid
eine kritische Menge erreicht hatte. Dennoch, es galt, den Saal zu evakuieren. Ich
sah, dass manche der Rocker vor der Bühne knieten. War Nönn oder Fratelli etwas
passiert? Die Explosion musste vorne in der Nähe der beiden geschehen sein. Ohne
Rücksicht auf eigene Verluste zog ich ein paar Lederjacken auseinander, um einen
Blick auf den Ort des Geschehens werfen zu können. Der Rockerchef lag auf dem Rücken
und blutete an der Stirn. Er war bei Bewusstsein.
»Schafft
ihn nach draußen«, brüllte ich. »Der Sauerstoff wird knapp.«
Seine Kumpels
verstanden und gehorchten. Ich entdeckte Fratelli auf einem Stuhl sitzend. Sein
Gesicht war rußgeschwärzt, und ein Büschel Haare sah ziemlich versengt aus. Er starrte
apathisch ohne Ziel in die Luft. Von der Seite kam Nönn, er war äußerlich unverletzt
aber ebenfalls geschockt.
»Ich habe
zusammen mit Pfarrer Lapa die Feuerwehr verständigt«, sagte Nönn.
»Helfen
Sie mir, wir schaffen Ihren Chef nach draußen.«
Glücklicherweise
mussten wir ihn nicht tragen, sondern lediglich unter den Achseln stützen. Vor dem
Kapitelsaal hatten sich die erschrockenen Besucher versammelt. Langsam schienen
sich die meisten zu beruhigen. Ganz leise hörte man im Hintergrund Sirenen. In dem
Moment sah ich ihn wieder, den Cordhosenträger und Verdächtigen Nummer eins. Er
betrachtete zunächst mit großem Interesse Fratelli und war nun dabei, verdeckt hinter
den Rockern zurück in den Saal zu schleichen.
»Bleiben
Sie stehen«, rief ich ihm zu. Für einen Sekundenbruchteil starrte er mich an, lächelte
reflexartig und rannte in den Saal. Ich scannte kurz die Lage: Wolf kümmerte sich
um die beiden Vortragenden, Becker und sein Freund standen in meiner Nähe.
»Los, den
schnappen wir uns«, brüllte ich lauter als ich wollte den Studenten an. Becker,
sein Freund und ich rannten nach unten in den Keller, während mehrere Feuerwehrfahrzeuge
an der Kirche angelangt waren.
Der Rauch
im Kapitelsaal hatte sich nur wenig verzogen, ein verschmorter Geruch lag in der
Luft. Der Täter, oder jedenfalls der, den ich dafür hielt, sprang trotz seiner Nervosität
geschickt über umgefallene Stühle. Mit einem größeren Vorsprung erreichte er die
Tür zum Durchgang zur Abteikirche. Becker hob einen Stuhl auf und warf ihn olympiaverdächtig
in seine Richtung. Einen knappen Meter neben der Tür zersprang das Sitzmöbel in
seine Einzelteile. Cordhose war schneller: Noch bevor der Stuhl an die Wand krachte,
war er im Durchgang verschwunden. Es ging eine kleine Wendeltreppe hinauf, die unbeleuchtet
war. Da ich diese erst vorhin hinabgelaufen war, wähnte ich mich im Vorteil, was
sich nicht bewahrheitete. Schließlich standen wir im Seitenschiff der Kirche. Niemand
war zu sehen. Becker und sein Freund begannen, die Stuhlreihen abzugehen. Ich legte
mein Augenmerk auf die höher gelegenen Bereiche. Vielleicht war er irgendwo hochgeklettert?
Ich konnte nichts finden, was dafür geeignet war. So blieb ich zentral in der Mitte
des Kirchenschiffs, und zusammen trieben wir ihn wie bei einer Treibjagd in Richtung
Kirchenportal. Unser Plan ging auf: Wie ein Blitz schoss er aus einer Ecke und rannte
Richtung Ausgang. Dies war ein Fehler, was er aber nicht ahnen konnte. Der komplette
Rockerverein kam im gleichen Moment durch das Portal herein, und die Vereinsmitglieder
durchschauten sofort die Situation. Cordhose hatte keine Chance. Ein Kerl mit extremem
Oberarmumfang hob das
Weitere Kostenlose Bücher