Pilot Pirx
psychisch bin ich sicherlich bis zu einem gewissen Grade Mann, allerdings eben nur bis zu einem gewissen Grade ... Aber das alles hat schon beinahe nichts mehr mit der Sache zu tun, derentwegen ich zu Ihnen gekommen bin.«
»Das kann man nie wissen ..., kann man nie wissen«, warf Pirx ein. Er betrachtete noch immer seine eigenen, gefalteten Hände. »Fahren Sie fort.«
»Wenn Sie es wünschen ... Aber ich werde nur in meinem eigenen Namen sprechen, über die anderen weiß ich nichts. Als Persönlichkeit bin ich zweifach entstanden: durch die Programmierung und durch Lernen. Auch der Mensch entsteht auf diese Weise, nur daß der erste Faktor bei ihm eine geringe Rolle spielt, weil der Mensch, wenn er auf die Welt kommt, noch kaum entwickelt ist. Ich dagegen war gleich von Anfang an so, wie ich jetzt bin ... in physischer Hinsicht. Ich mußte nicht so lange lernen wie ein Kind. Und dadurch, daß ich weder eine Kindheit noch eine Zeit der Reife durchgemacht habe, sondern lediglich ein Multistat war, dem man erst die Vorausprogrammierungsmasse verpaßte und den man dann vielseitig trainierte und ihm eine Menge Informationen eingab, dadurch wurde ich einheitlicher als irgendeiner von euch. Denn jeder Mensch ist eine wandelnde geologische Formation, die tausend Epochen des Glühens und abermals tausend Epochen des Erkaltens durchlaufen hat, da sich Schicht auf Schicht ablagerte – zuerst jene endgültige, weil erste und somit mit nichts vergleichbare Welt vor der Existenz der Sprache, die später untergeht, von ihr verschlungen wird, aber irgendwo auf dem Grunde noch weiterglimmt. Im Hirn ist eine Invasion der Farben, Formen und Gerüche, ein Umsichgreifen der Sinne, die sich nach der Geburt entfalten. Erst später kommt es zur Polarisierung in Welt und Nicht-Welt beziehungsweise in Ich und Nicht-Ich. Nun, und dann diese ganzen Hormonüberschwemmungen, diese widersprüchlichen und verschieden gelagerten Programme von Glaube und Trieb – die Geschichte der Entstehung der Persönlichkeit ist die Geschichte von Kriegen: das Gehirn gegen sich selbst. All diese Stationen von Tollheit und Resignation kannte ich nicht, ich hatte diese Etappen nicht durchlaufen, und deshalb habe ich keine Spur von einem Kind in mir. Ich bin zu Gefühlswallungen fähig, und ich könnte sicherlich sogar töten, aber nicht aus Liebe. Die Worte in meinem Mund klingen ebenso wie in eurem Mund, aber sie haben eine andere Bedeutung für mich.«
»Heißt das, daß Sie nicht imstande sind zu lieben?« fragte Pirx. Immer noch betrachtete er seine Hände. »Woher diese Sicherheit? Das weiß wahrscheinlich niemand, bis er nicht ...«
»Das wollte ich nicht damit sagen. Vielleicht wäre ich auch dazu imstande. Aber es würde etwas völlig anderes bedeuten als bei euch. Zwei Gefühle verlassen mich eigentlich niemals: das des Staunens und die innere Bereitschaft, alles lächerlich zu finden. Und das, glaube ich, ist so, weil eine Eigenschaft eurer Welt sich mir überall aufdrängt – die Konventionalität. Nicht nur in der äußeren Gestalt von Maschinen und in euren Umgangsformen, sondern auch in eurer Körperlichkeit, die mir Modell gestanden hat. Ich sehe, daß alles ganz anders aussehen, anders gebaut sein, anders funktionieren könnte und daß es dadurch weder besser noch schlechter wäre, als es ist. Für euch existiert die Welt in erster Linie, das heißt, sie existiert ganz einfach als einzige Möglichkeit; für mich dagegen gab es die Welt nicht nur, seit ich denken kann, sondern es gab sie als eine lächerliche Welt, diese eure Welt der Städte, Theater, Straßen, des Familienlebens, der Börse, der Liebestragödien und der Filmstars. Möchten Sie meine Lieblingsdefinition des Menschen hören? Ein Wesen, das am liebsten darüber spricht, wovon es am wenigsten versteht. Für die Antike soll die Allgegenwart der Mythologie charakteristisch gewesen sein und für die moderne Zivilisation deren Fehlen? Aber wovon leiten sich denn in Wirklichkeit eure einfachsten Grundbegriffe ab? Die Sündhaftigkeit des Leibes ist die Konsequenz einer alten Evolutionslösung, die aus Sparsamkeitsgründen die Ausscheidungsfunktionen mit den Geschlechtsfunktionen in demselben Organsystem vereinte. Die religiösen und philosophischen Ansichten sind die Konsequenz aus eurer biologischen Struktur, weil dem Menschen zeitliche Grenzen gesetzt sind und er in jeder Generation alles erkennen, alles begreifen, alles erklären möchte. Aus ebendieser Diskrepanz heraus entstand
Weitere Kostenlose Bücher