Pilot Pirx
schon erwähnte Vertrauensperson gab mir zu verstehen, ich hätte sofort nach der Lektüre der Anklageschrift gegen die besagten Firmen auftreten müssen, weil sie sich indirekt schuldig gemacht hätten, indem sie sowohl der UNESCO als auch mir versicherten, man könne den Nichtlinearen als Besatzung grenzenloses Vertrauen entgegenbringen. Dabei hätte Calder uns alle doch um ein Haar ins Jenseits befördert.
Ich erklärte diesem Mann unter vier Augen, warum ich das nicht getan hätte. Das, womit ich vor dem Tribunal in der Rolle des Anklägers hätte auftreten können, besaß keinerlei Beweiskraft. Die Sprecher der Firmen wären zweifellos mit der Behauptung aufgetreten, Calder hätte so lange wie irgend möglich versucht, das Schiff und uns alle zu retten, aber die strudelartige Präzessionsbewegung, die den »Goliath« zum Trudeln brachte, wäre für ihn ebenso überraschend gekommen wie für mich. Seine ganze Schuld habe in folgendem bestanden: Statt sich dem Zufall zu überlassen und abzuwarten, ob das Schiff am Ring zerschmetterte oder doch noch glücklich die Cassinische Teilung überwand, statt also diese Ungewißheit zu wählen, die aber für alle hätte die Rettung bedeuten können, entschied er sich für den Weg, der für alle Menschen an Bord den sicheren Tod bedeutet hätte. Dieses Vergehen – soviel stand fest – war unverzeihlich und diskreditierte ihn völlig, aber es war dennoch unvergleichlich geringfügiger als das, dessen ich ihn schon damals verdächtigte. Ich konnte ihn also nicht eines kleineren Fehlers bezichtigen, wenn ich damals bereits annahm, daß die Sache sich in Wirklichkeit noch ganz anders zugetragen habe. Da ich aber mangels Beweises dieses größere und schlimmere Verbrechen nicht ans Licht der Öffentlichkeit bringen konnte, entschloß ich mich, das Urteil der Kammer abzuwarten.
Unterdessen hat man mich von allen Vorwürfen freigesprochen und völlig rehabilitiert. Zugleich verlor man die Kernfrage der ganzen Katastrophe immer mehr aus den Augen, und zwar die Frage, was die zu erteilenden Befehle eigentlich für einen Inhalt haben sollten. Man ging sozusagen automatisch darüber hinweg, da das Tribunal ja zu dem Schluß kam, ich hätte richtig gehandelt, wenn ich dem Wissen und dem fachkundigen Einschätzungsvermögen des Piloten vertraute. Da es also gar nicht meine Pflicht gewesen war, einen Befehl zu erteilen, fragte auch niemand mehr danach, wie der Befehl eigentlich hätte lauten sollen.
Das kam mir sehr gelegen, denn alles, was ich bei einer Befragung hätte antworten können, hätte sich wie ein phantastisches Märchen angehört. Ich war nämlich der Meinung, und dieser Meinung bin ich auch heute noch, daß die Sache mit der Sonde nicht auf einem Zufalle beruhte, sondern absichtlich von Calder arrangiert worden war. Lange bevor wir den Saturn erreichten, hatte er sich einen Plan ausgetüftelt, der mir recht geben und der mich zugleich, zusammen mit den anderen Menschen an Bord des »Goliath«, das Leben kosten sollte. Warum er dies tat, steht auf einem anderen Blatt, und ich kann mich dabei lediglich auf Hypothesen stützen.
Zunächst also die Geschichte mit der zweiten Sonde. Die Sachverständigen stellten fest, daß die Havarie durch ein unglückseliges Zusammentreffen verschiedener Umstände verursacht wurde. Während der sorgfältigen Überprüfung im irdischen Dock hatte man keine Spuren von Sabotage entdeckt. Ich glaube, man ist der Wahrheit nicht auf den Grund gekommen. Wenn die erste Sonde versagt hätte, die für die Cassinische Teilung vorgesehen war, hätten wir sofort umkehren müssen, ohne unseren Auftrag erfüllt zu haben, weil die anderen beiden Sonden nicht imstande waren, die erste zu ersetzen: Sie hatten keine wissenschaftliche Apparatur an Bord. Wäre die dritte Sonde ausgefallen, hätten wir mit erfülltem Auftrag zurückfliegen können, weil ja der ersten Sonde zur Kontrolle auch eine Sonde als »Wächter« genügt hätte, und das wäre dann eben die zweite Sonde gewesen. Aber es war ausgerechnet die zweite, die versagte und uns auf halbem Weg überraschte, mit einer zwar begonnenen, aber nicht abgeschlossenen Aufgabe.
Was war passiert? Das Zündkabel hatte sich zu zeitig gelöst, und dadurch konnte Calder den Startautomaten nicht ausschalten. Die Expertise der Sachverständigen lautete, das Kabel habe sich verfangen und zu einem Knoten verschlungen. So was kommt vor. Ich hatte allerdings vier Tage vor dem Ereignis die Trommel gesehen, auf die das
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