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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Minute aufgestöhnt, zum zweitenmal in der zweihundertsiebenundzwanzigsten. Im ganzen drei Strafpunkte. Nicht zittern! Werfen Sie bitte ein Bein über das andere, ich untersuche jetzt die Reflexe ... Wie haben Sie nur so lange ausgehalten?«
    Pirx saß auf einem vierfach zusammengefalteten Handtuch, er spürte, daß es rauh war, und das tat ihm gut. Er kam sich vor wie Lazarus. Nicht daß er so aussah, aber er fühlte sich, als sei er auferstanden, als sei er wiedergeboren. Sieben Stunden – die beste Placierung! In den letzten drei Stunden war er wohl tausendmal gestorben, aber er hatte nicht gestöhnt. Man zog ihn heraus, rieb ihn ab, massierte ihn, gab ihm eine Spritze, einen Schluck Kognak und führte ihn ins Untersuchungszimmer, wo Dr. Grotius wartete. Unterwegs warf er einen Blick in den Spiegel, noch immer völlig benommen, als sei er nach mehrmonatigem Fieber aufgestanden. Er wußte, daß alles vorüber war. Er schaute nicht deshalb in den Spiegel, weil er damit rechnete, ergrautes Haar zu sehen – nein, er tat es nur so im Vorbeigehen. Er erblickte sein breites Gesicht, drehte sich rasch wieder um und marschierte weiter, wobei seine nassen Fußspuren auf dem Parkett zurückblieben. Dr. Grotius versuchte lange, ihn zum Reden zu bringen. Sieben Stunden, das war schon etwas. Der Arzt betrachtete Pirx mit anderen Augen als vorher – es war nicht Wohlwollen, sondern eher Neugier – die Neugier eines Entomologen, der einen unbekannten Nachtfalter oder einen außergewöhnlichen Wurm entdeckt hat. Vielleicht sah er darin das Thema einer wissenschaftlichen Arbeit?
    Pirx erwies sich – was leider festgestellt werden muß – als ein wenig dankbares Forschungsobjekt. Er saß da und blinzelte dümmlich. Alles war flach, zweidimensional; wenn er mit der Hand nach einem Gegenstand langte, griff er entweder zu weit oder zu kurz. Das war eine normale Erscheinung. Weniger normal war die Tatsache, daß der Prüfling keine der Fragen nach genaueren Einzelheiten beantwortete.
    »Haben Sie dort gelegen?« entgegnete Pirx nur.
    »Nein«, sagte Dr. Grotius erstaunt. »Wieso?«
    »Dann machen Sie es mal«, schlug Pirx vor. »Sie sehen dann selbst, wie das ist.«
    Am zweiten Tag war sein Befinden bereits so gut, daß er sogar Witze über das »Irrsinnige Bad« reißen konnte. Seitdem ging er ständig in das Hauptgebäude, wo im verglasten Schaukasten Listen mit dem Nachweis der Praktika aushingen. Aber er konnte seinen Namen nicht finden. Dann kam der Sonntag.
    Und am Montag ließ ihn der Chef rufen.
    Anfangs war Pirx gar nicht besorgt. Er rechnete zuerst mit seinem Gewissen ab. Darum, daß sie in Ostensos Rakete eine Maus versteckt hatten, konnte es sich nicht handeln – erstens war es schon lange her, und zweitens war die Maus klein gewesen. Nein, die ganze Sache war nicht der Rede wert. Dann gab es noch die Geschichte mit dem Wecker, der Maebius’ Bett automatisch unter Strom setzte. Aber auch das war nur ein dummer Scherz gewesen. Mit zweiundzwanzig Jahren stellt man eben solche Dinge an, und der Chef war nicht kleinlich, wenn die Späße im Rahmen blieben. Sollte er von dem »Geist« erfahren haben? Der »Geist« war Pirx’ eigener origineller Einfall, die Kollegen hatten ihm nur geholfen – schließlich hat man ja Freunde. Aber Barn hatte wirklich eine Abreibung verdient. Die Operation »Geist« verlief wie am Schnürchen. Pulver hatten sie in der Tüte, dreimal wurde rund um das Zimmer ein Steg damit gezogen, der unter dem Tisch endete. Vielleicht hatten sie tatsächlich zuviel von diesem Pulver dort ausgeschüttet. Der Pulversteg führte bis in den Korridor, durch eine Ritze unter der Tür, und schon war Barn »geschafft« – die ganze Woche hindurch wurde von nichts anderem als von Geistern geredet. Pirx war ja kein Schwachkopf, er hatte die Rollen gut verteilt: Einige seiner Kameraden erzählten gruselige Geschichten, die anderen mußten ungläubig zuhören, damit Barn die List nicht mehr zu schnell durchschaute. Barn beteiligte sich nicht an diesen metaphysischen Erörterungen, er spöttelte nur über die eifrigsten Anhänger des »Jenseits«, aber sein Spott sollte ihm vergehen. Es war ein unbeschreiblicher Anblick, als er gegen Mitternacht aus seinem Zimmer stürzte, brüllend wie ein Ochse, der von einem Tiger verfolgt wird. Die Flamme drang durch die Ritze unter der Tür, kreiste dreimal um das Zimmer und explodierte unter dem Tisch mit einem Knall, daß die Bücher herunterfielen. Aber Pirx hatte den Spaß

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