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Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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Stiefel zu putzen, das war eine schwierige und zeitraubende Arbeit, weil es auf eine ganz bestimmte Art und Weise gemacht werden mußte, die man in seinem Regiment lernte. Er wurde sehr ärgerlich, wenn man etwas falsch machte. Ich saß auf der Treppe vor dem Haus, putzte und wienerte mit der Schuhbürste, denn ich war so dankbar für sein Geschenk, den Tip mit dem Höhlenpilz, aber gleichzeitig fühlte ich mich schuldig, wenn ich daran dachte, wie ich ihn anwenden wollte. Er hatte mir etwas gegeben, und ich würde ihm etwas nehmen. Aber so mußte es gehen. Es gab keinen anderen Weg für mich. Jetzt galt es nur noch, eine passende Gelegenheit abzuwarten. Madeleine und ich mußten allein sein, wenn ich ihr den Höhlenpilz verabreichte.
    Die Gelegenheit kam schneller, als ich gehofft hatte.
    Die mykologische Gesellschaft in Uppsala lud Vater zu ihrem nächsten Treffen ein. Ein kleiner Beitrag über die französische Pilzflora wäre sehr willkommen.
    Vater ließ sich nicht lange bitten. Er versprach zu kommen, und kaum hatte er den Hörer aufgelegt, setzte er sich an seinen Schreibtisch und bereitete einen Vortrag über französische Trüffel vor.
    Am nächsten Morgen fuhr ich ihn zum Bahnhof. Er würde bei einem Bekannten in Uppsala übernachten und erst am nächsten Tag wiederkommen. Madeleine und ich würden den Abend und die Nacht über allein in der Hütte sein.
    »An einem solchen Tag sollte man eigentlich in den Wald gehen«, sagte Vater, als er seine militärgrüne Segeltuchtasche auf dem Bahnsteig abstellte.
    »Ja, aber es ist bestimmt auch nett, mal wieder nach Uppsala zu kommen«, sagte ich.
    »An so einem Tag würde ich den Wald vorziehen. Du gehst vielleicht ein bißchen los?«
    »Kann schon sein«, sagte ich.
    Ich nahm Vaters Tasche und trug sie zum Zug.
    »Die Ritterlinge könnten jetzt soweit sein«, sagte Vater.
    Er kannte eine kleine Stelle mit Ritterlingen, zu der er immer wieder zurückkehrte. Sie lag genau in der Gegend, wo auch die Höhle liegen mußte.
    »Nun ja, mal sehen, wohin es mich treibt. Etwas findet man immer.«
    »Das stimmt«, sagte Vater.
    Er nahm seine Tasche und klopfte mir zum Abschied auf die Schulter.
    »Paß auf Madeleine auf, während ich weg bin.«
    Genau das hatte ich vor.
    Kaum war ich wieder zu Hause, zog ich die Stiefel an und ging los, um die Höhle zu suchen.
    Die Herbstsonne rieselte durch die noch grünen Blätter des Laubwaldes, die Schatten spielten an den Felsen, die Luft war erfüllt von einem Duft nach reifem Grün und Erde.
    Die Höhle lag genau an der Stelle, die Vater beschrieben hatte, aber ich brauchte eine Weile, bis ich sie fand, weil so viele Haselsträucher, kleine Eschen und Farne vor der Öffnung wuchsen.
    Ich bog ein paar Zweige beiseite, ging in die Hocke und schaute hinein. Es war keine große Höhle. Ich mußte auf alle viere gehen, um hineinzukriechen.
    Die Atmosphäre und die Temperatur veränderten sich sofort, als wäre ich in einen See getaucht. Die klare Herbstluft verwandelte sich in muffige Feuchtigkeit, durchdringend und irgendwie zudringlich kalt, wie der Atem eines Gespenstes.
    Von außen hatte die Höhle nach nichts ausgesehen, eine kleine Öffnung im Fels, über deren Wände das Sonnenlicht spielte. Aber jetzt, wo mein Körper das Licht aussperrte, wurde es in der Höhle so dunkel, daß ich nichts mehr erkennen konnte. Einen kurzen, schreckhaften Moment lang bildete ich mir ein, daß die Höhle sich zusammenzog wie ein krampfender Magen, aber da hatte mir das Licht und die sich vor der Höhle im Wind bewegenden Büsche einen Streich gespielt.
    Jetzt hatte ich mich an die Umgebung gewöhnt. Ich rutschte rückwärts aus der Höhle und holte meine Ausrüstung aus dem Rucksack: Taschenlampe, Plastikgefäß und ein breites Messer. Ich kroch wieder hinein und leuchtete mit der Taschenlampe an der linken Wand entlang, so wie Vater es gesagt hatte.
    Und tatsächlich: der Fels war mit einem gelbgrünen Schleim bewachsen.
    Mein Herz machte einen Sprung. Vater hatte nicht gelogen. Ich konnte ihn vor mir sehen, wie er in der Höhle umherkroch, wie ein Zwerg in seiner Grotte, und eifrig den Schleimpilz von den Wänden kratzte. Hier kam also sein Verführungsmittel her. Jetzt war ich in seine Geheimnisse eingeweiht.
    Vater hatte nebenbei die ältere Bezeichnung für den Höhlenpilz genannt: Drachenschleim. (Diesen Namen hatte er nicht genannt, als er Madeleine die volkstümlichen Namen für den Schleimpilz aufzählte. Später sollte ich mich fragen,

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