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Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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ob das Absicht war.)
    Ich sah es vor mir: ein schleimiger Drache, der sein Sekret an die Höhlenwände schmiert.
    Ich lehnte die Taschenlampe an einen Stein, so daß der Lichtstrahl nach oben gerichtet war. Dann schabte ich mit meinem Messer etwas von der geleeartigen Masse ab und ließ sie in den Plastikbecher fallen.
    Ein paar Minuten später war ich wieder in der Sonne, durch den kühlen Wald auf dem Weg nach Hause, den Schleim des Drachens in meinem Rucksack.
    Ich konnte nicht ahnen, daß ich nicht nur den Schleim des Drachen auf meinem Rücken trug. Den Drachen selbst hatte ich aus seinem Schlaf geweckt, und ich brachte ihn in unsere idyllische Kate.

11
    Vater war ein guter Koch. Er hatte sich immer um das Essen gekümmert, der Abwasch war meine Aufgabe. Seit Vater geheiratet hatte und nach Frankreich gezogen war, mußte ich selbst kochen. Es waren meist einfache Sachen, gebratene Würstchen mit Makkaroni und hin und wieder eine von den Tütensuppen der Armee, die Vater in der Vorratskammer zurückgelassen hatte.
    Aber jetzt, wo Madeleine und ich allein waren, wollte ich etwas richtig Gutes für sie kochen. In Vaters Kochbuch hatte ich ein leckeres Rezept gefunden: Coq au vin. Das klang ziemlich französisch, die Zutaten hatte ich bereits eingekauft.
    Einen Moment hatte ich befürchtet, daß Madeleine selbst das Abendessen zubereiten wollte. Aber diese Gefahr war gering. Madeleine war eine verwöhnte Frau, die sich noch nie mit Hausarbeit hatte abgeben müssen, und sie schien davon auszugehen, daß sie es auch jetzt nicht zu tun brauchte. Als ich mich erbot, das Essen zu machen, nickte sie nur zerstreut.
    Sie lief mit unruhigem Blick durch die Hütte, vermutlich suchte sie etwas.
    Ihr eng anliegender olivgrüner Overall gab ihren Körper bis hin zu den Pobacken preis. Die Haare hatte sie nachlässig zu einem Knoten zusammengefaßt, der sich langsam auflöste.
    Sie schien gefunden zu haben, was sie suchte, ein französisches Modemagazin. Sie setzte sich in den einzigen bequemen Sessel in unserer Kate – in dem halben Jahr, in dem ich allein gewesen war, hatte ich ihn als meinen betrachtet, aber nun hatte Vater ihn wieder erobert –, legte die nackten Füße auf den Couchtisch und studierte die Hochglanzseiten des Magazins mit skeptischem Blick.
    Ich ging in die Küche und legte los. Coq au vin war viel komplizierter, als ich gedacht hatte. Im Rezept hatte alles so einfach geklungen, aber schon das Zerteilen des Huhns dauerte ewig, weil es noch nicht richtig aufgetaut war.
    Ich legte das blasse kalte Hähnchen auf den Rücken. Als es beinahe unanständig die angezogenen Schenkel spreizte und ich das Messer durch die Haut stieß und die knirschenden Gelenke losriß, tat es richtig weh, als hätte ich mich selbst geschnitten.
    Als die Hähnchenteile in der Pfanne waren, wurde es einfacher, aber dann mußte ich Gemüse schneiden, Speck würfeln und Kartoffeln schälen. Es war viel mehr Arbeit, als ich dachte.
    Außerdem mußte ich ein zweites Gericht für mich zubereiten, damit ich nichts vom Höhlenpilz abbekam. (Ich wollte natürlich nicht, daß meine weiblichen Geschlechtshormone stimuliert wurden, jetzt, wo ich so viel wie möglich von meinen männlichen brauchte.) Neben dem Hähnchen kochte ich also noch einen Linseneintopf.
    Ich musste mich Madeleine gegenüber natürlich erklären, und so erzählte ich ihr wie nebenbei, daß ich seit gestern Vegetarier war, weil ich eine schreckliche Sendung über Schweinemast im Fernsehen gesehen hatte.
    Madeleine lachte mich nur aus, das hatte ich mir gedacht.
    »Was dir so alles einfällt«, sagte sie, ohne von ihrem Magazin aufzuschauen.
    Ich ging wieder in die Küche, wo meine beiden Eintöpfe schmorten. Ich bräunte die Speckwürfel und gab sie zusammen mit Thymian, Rosmarin und einer ganzen Flasche Burgunder zum Hähnchen. Ganz zum Schluß holte ich den Plastikbecher aus dem Rucksack und öffnete ihn. Ich betrachtete einen Moment den schleimigen Inhalt, der in der luftdichten Verpackung feucht geblieben war, und hielt mir den Becher unter die Nase. Der Höhlenpilz war, genau wie Vater gesagt hatte, geruchlos.
    Ich hielt den Becher über den Topf und sah, wie die zähe Masse über den Rand mit einem Schmatzen zwischen einen Hähnchenschenkel und eine halbe Zwiebel glitt. Kurz darauf war der Höhlenpilz zwischen den übrigen Zutaten verschwunden. Ich stellte mir vor, wie die Moleküle mit dem Kochlöffel verteilt wurden und in das Hähnchenfleisch, den Speck und die

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