Pilze für Madeleine
eine eigene Wohnung. Glaubst du, daß ich gesagt habe ›Vater sagt‹, wenn ich etwas diskutierte?«
Ich streckte die Hand nach einer Kerze im Kandelaber aus und bohrte einen Finger in das weiche Wachs, ganz dicht an der Flamme.
»Glaubst du das?«
Sie beugte sich näher zu mir. Ich antwortete nicht. Das Wachs war heiß und formbar.
»Nein. Und weißt du auch, warum? Weil ich keine Ahnung hatte, was mein Vater gesagt hätte. Ich kannte ihn nämlich nicht.«
Ich schaute sie erstaunt an. Sie sah jetzt traurig aus. Sie trank ein paar große Schlucke Wein, wie um sich zu trösten.
»Du ahnst gar nicht, wieviel Glück du hast, Gunnar. Du hast einen Vater. Ich glaube, du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, seinen Vater nicht zu kennen. Dir fehlt etwas ganz wichtiges. Es ist, als ob man ein großes Loch in der Seele hätte.«
Sie leerte ihr Glas und schenkte uns beiden nach.
»Ich habe mein südländisches Aussehen von ihm. Und mein Temperament. Er lernte Mutter während einer Geschäftreise kennen, es war eine stürmische und total wahnsinnige Liebesgeschichte. Dann ging alles in die Brüche, weil er so eifersüchtig war. Er erkannte nicht einmal die Vaterschaft an, der Scheißkerl. Aber er entstammte einem ungarischen Adelsgeschlecht. Deshalb kam es mir so natürlich vor, in Frankreich als Gräfin zu leben. Ich habe es im Blut.«
Jetzt sah sie wieder fröhlicher aus.
»Prost auf unsere Väter. Und hör auf, mit der Kerze zu spielen, das macht mich wahnsinnig.«
Sie nahm meine Hand und zog sie von der Kerze weg.
»So. Prosit. Auf unsere Väter!«
Sie erhob mit einer feierliche Geste das Glas, und ich folgte ihrem Beispiel.
»Papa Holger und Papa … wie zum Teufel er auch hieß. Die besten aller Väter. Und weißt du, was das allerbeste an ihnen ist?«
Sie grinste verschmitzt, und ich schüttelte den Kopf.
»Daß sie nicht hier sind. Wir haben sturmfreie Bude, Gunnar! Prost!«
Wir tranken. Madeleine lachte. Ich lachte auch.
Sie plapperte drauflos, scherzte mit mir und wuschelte mir durchs Haar.
Ich beobachtete sie genau. Würde es wirklich klappen? Wie lange würde es dauern?
Ich hoffte, der Höhlenpilz würde Unterstützung vom Wein bekommen, der schien sie in gute Laune zu versetzen.
Zu einem Nachtisch hatte ich keine Zeit gehabt, aber ich machte uns eine Kanne Kaffee und stellte ein paar süße Kekse auf den Tisch. Madeleine nahm Kaffeetasse und Kekse mit in die Kammer und setzte sich vor den Fernseher, wo ein amerikanischer Film lief.
Ich ließ das Geschirr stehen und setzte mich zu ihr. Ich tat so, als würde der Film mich interessieren, aber aus dem Augenwinkel beobachtete ich Madeleine ganz genau.
Sie hatte den Kopf schief gelegt, sah müde aus und kratzte sich hin und wieder am Bein. Der Haarknoten hatte sich ganz aufgelöst. Von dem vorausgesagten Höhlenpilz-Effekt merkte ich noch nichts. Ich setzte mich so dicht neben sie, daß ich ihre Wärme spüren konnte.
Draußen war das herbstliche Dunkel schwarz und undurchdringlich, als hätte jemand einen riesigen Sack über die Kate gezogen und zugeschnürt.
Plötzlich sagte Madeleine:
»Mir ist irgendwie komisch.«
»Was meinst du damit?« fragte ich vorsichtig.
»Ich weiß nicht. Einfach komisch.«
Ich beugte mich zu ihr und sah ihr forschend ins Gesicht.
Und nun sah ich eine Veränderung. Irgend etwas mit ihren Augen. Sie waren dunkel und geheimnisvoll wie bei einem Märchenwesen.
Tatsächlich!
Ich hatte in meinem Männermagazin gelesen, daß die Pupillen sich vergrößern, wenn eine Frau erotisch interessiert ist.
Madeleines Pupillen waren riesig. Ich hatte noch nie so große Pupillen gesehen.
»Ich bin müde. Ich glaube, ich lege mich schlafen«, murmelte sie.
»Ja, mach das«, sagte ich aufgeregt.
Madeleine ging hinauf in Vaters Schlafzimmer, ganz langsam, Schritt für Schritt. Mitten auf der Treppe blieb sie stehen, drehte sich um und schaute mich mit trägem Blick an. Wie eine Waldfee, kurz bevor sie zwischen den Stämmen verschwindet, lockend, angsterregend, ganz und gar unwiderstehlich.
Ich wartete eine Weile, hörte sie da oben. Wasser lief, Schubladen wurden aufgezogen. Sie machte sich fertig.
Dann war es eine Weile still.
Und endlich rief sie mich.
Ich lief die Treppe hoch. Die Tür zum Schlafzimmer war angelehnt, aber ich warnte sie dennoch mit einem diskreten Klopfen, bevor ich eintrat.
Sie lag auf dem Bett, trug eines ihrer schwarzen Kleidungsstücke Marke Männermagazin (vermutlich sollte es ein
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